Im letzten Insight haben wir uns mit den mehr oder weniger subtilen Strategien und Mechanismen beschäftigt, mit denen wir uns der Auseinandersetzung mit notwendigen Veränderungen auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene zu entziehen versuchen.

Was macht es uns so schwer, Realitäten, wie den durch den Menschen verursachten Klimawandel, zu akzeptieren und unser Handeln als Individuen und als Gesellschaft zu verändern? Einige Modelle, die wir in der Beratung von Organisationen in Change-Prozessen anwenden, können helfen, zu verstehen, warum und wie es zu „Widerstand“ gegen Veränderungen kommt. Eine wesentliche Rolle dabei spielen Emotionen, auch wenn sie sich oft hinter Sachargumenten verbergen.

Die Funktion von Emotionen

Emotionen sind ein wesentlicher Treiber unseres Handelns – auch, wenn wir meinen, vernünftig und rational zu agieren. Sie sind Motor oder Bremse unseres Handelns. Sie fokussieren unsere Aufmerksamkeit – so lenkte Angst in der Steinzeit unsere Achtsamkeit auf die Gefahr des Säbelzahntigers. Und sie übersteuern oft unsere Ratio. Das ist nützlich: Denn Angst schützt uns vor Gefahren, Wut liefert Energie für den Überlebenskampf. Trauer löst Bindungen und macht frei für Neues, Neugier erzeugt Konzentration und Offenheit für Unbekanntes und Freude stärkt Bindung und Zusammenhalt. Unsere Emotionen haben einen großen Einfluss auf unsere Handlungsfähigkeit: Wenn wir vor Angst gelähmt oder vor Wut getrieben sind, fällt es uns oft schwer, offen auf neue Herausforderungen zuzugehen.

Auch sind unsere emotionalen Reaktionen schneller als rationale und übersteuert diese häufig – wer hat nicht schon einmal aus Ärger oder Euphorie Dinge getan, die nicht wirklich vernünftig waren?

Die Change Kurve

Ein Klassiker im Change Management ist die Change-Kurve nach E. Kübler-Ross. Dieses Modell beschreibt das emotionale Erleben von Menschen vor allem in nicht selbstbestimmten Veränderungsprozessen.

Die Kurve zeigt auf, welche Phasen Menschen typischerweise in einem Veränderungsprozess durchlaufen. Auf der horizontalen Achse ist die Zeit aufgetragen, auf der vertikalen Achse die Produktivität bzw. Leistungsfähigkeit der betroffenen Personen bzw. der Organisation.

Visualisierung 7 Phasen der Change Kurve

1 – Vorahnung, Schock und Angst
In Change-Prozessen gibt es meist schon zu Beginn eine Art von Vorahnung. Es kursieren Gerüchte , dass eine Veränderung bevorsteht. Das allein kann schon die Leistungsfähigkeit mindern. Sobald die Information offiziell kommuniziert wird, ist sie real, und kann Angst und sogar Schock auslösen. Das Ausmaß hängt davon ab, wie stark die Betroffenen die Veränderung für sich selbst wahrnehmen. Dies kann Angst vor Identitätsverlust, Überforderung oder einfach vor dem Verlust des Gewohnten sein.

2 – Ärger/Leugnung
Dem Schock kann eine heftige Abwehrreaktion folgen. Um zu zeigen, dass der jetzige Zustand gut ist, versuchen sich die Betroffenen in Verdrängung. Hinzu kommt eine Portion Ärger, der sich in Widerstand äußert – oft gegen den Überbringer der schlechten Botschaft. Manche Menschen gehen in dieser Phase aktiv auf die Barrikaden, andere ziehen sich zurück und wollen nichts mehr vom Thema hören.

3 – Einsicht
Nach erneuter Bestätigung des bevorstehenden Change durch das Management, wird erkannt, dass dieser nicht mehr abzuwenden ist. Widerstand hilft nicht mehr. Auf der rationalen Ebene erfolgt nun Einsicht. Das heißt aber noch lange nicht, dass die bisherige Situation kritisch hinterfragt oder bereitwillig über Bord geworfen wird.

4 – Emotionale Akzeptanz
Die Enttäuschung darüber, dass das Alte nicht mehr gilt, führt ins Tal der Tränen: Die Produktivität ist am Boden angelangt. Erst mit der„Trauerarbeit“, dem inneren Abschiednehmen und Loslassen des Alten, ist der Tiefpunkt des Tals der Tränen erreicht. Nun wird auch auf emotionaler Ebene die Entscheidung zur Veränderung akzeptiert, selbst wenn dies schwerfält. Der erste Schritt zur Akzeptanz ist getan.

5 – Neugier/Ausprobieren
Nach der Phase des Abschiednehmens entsteht Offenheit für Neues. Die Produktivität steigt langsam wieder an und die Einstellung der Betroffenen wird positiver. Man probiert Neues aus und macht erste Erfahrungen. Dabei ist es völlig normal, dass es auch Rückschläge geben kann.

6 – Lernen/Erfolge
Es stellen sich kontinuierlich Lernerfolge ein und die Betroffenen gewinnen deutlich an Selbstvertrauen im Umgang mit der neuen Situation. Bisherige Widerstände sind in dieser Phase abgebaut und die Angst vor der Veränderung spielt kaum noch eine Rolle.

7 – Zuversicht
Der Change wird zur neuen Normalität. Die Betroffenen integrieren das neu Gelernte in ihren Arbeitsalltag.

Jeder Mensch durchläuft diese Kurve der Emotionen in sehr unterschiedlicher Intensität und Geschwindigkeit und kann in einer Phase steckenbleiben. Je nach Situation kann den Betroffenen dabei auf unterschiedliche Art und Weise geholfen werden: In der Schock- und Angstphase hilft oft schon Zuhören, um die Ursachen der Angst und der Bedenken zu verstehen. Wenn jemand wütend ist, ist es sinnvoll, die Gefühle zuzulassen, die Schwierigkeit der Veränderung anzuerkennen. Gleichzeitig ist es wichtig, falsche Vorstellungen und Missverständnisse aufzeigen und die Notwendigkeit und den Nutzen der Veränderung zu betonen. Um Trauer – und damit Loslassen – zu ermöglichen, braucht es Wertschätzung für das Alte und die Erkenntnis, dass das Geleistete in der Vergangenheit sehr passend war, es für die zukünftigen Herausforderungen jedoch etwas anderes braucht. Darüber hinaus helfen klare Informationen über den Veränderungsprozess. Wenn die Betroffenen erste Ansätze des Ausprobierens zeigen, hilft die Unterstützung und Stabilisierung des Neuen, um Rückschläge zu vermeiden. Insbesondere Gruppedynamik kann hier hilfreich sein.

Mithilfe der Change-Kurve lassen sich viele „Widerstands“-Phänomene in Veränderungsprozessen besser verstehen. Selten basiert der Widerstand der Betroffenen auf Bosheit. Vielmehr empfinden diese ihn als emotional passende Reaktion. Eine Ausnahme stellen Personen oder Organisationen dar, die ein ganz klares Eigeninteresse an der Verhinderung des Change haben, weil ihnen etwa ihr Geschäftsmodell, z.B. auf Basis fossiler Energieträger, wegbricht. Meist werden Sachargumente geäußert, auch wenn diese vorgeschoben oder selbst konstruiert sind. Denn wer gibt schon offen zu, dass er Angst hat oder nur seine persönlichen Interessen verteidigen will? Nicht von ungefähr haben Ölkonzerne über Jahrzehnte gezielt Falschinformationen verbreitet, um eine Abkehr von fossilen Energieträgern zu verhindern. Seitens einzelner Bürger:innen mag die Einsicht „Wir müssen etwas ändern“ vorhanden sein. Geht es allerdings um konkrete Maßnahmen, wie z.B. die starke Einschränkung des Individualverkehrs, die Reduktion von Parkmöglichkeiten in Innenstädten, den Verzicht auf Flugreisen, auf Fleisch oder auf geliebtes Obst und Gemüse aus Übersee, dann durchlaufen diese rasch selbst die Change Kurve.

Die Kunst im Umgang mit „Widerstand“ besteht also darin, die Motivationen hinter diesem zu erkennen und entsprechend damit umzugehen. Leadership im Change bedeutet deshalb aber nicht, jedem Widerstands-Lüftchen sofort nachzugeben und die notwendigen Veränderungen zu relativieren.

Darüber mehr im nächsten Insight.