Dass Fünfjahrespläne in einer zunehmend dynamischen Umwelt nicht mehr das Gelbe vom Ei sind, ist keine Neuigkeit. Das Ausmaß an Agilität, das eine gute Strategie – oder vielleicht passender formuliert wirksame Strategiearbeit – in der VUCA-Welt erfordert und ausmacht, ist hoch. VUCA steht für eine Welt, die sich in vielen Dimensionen mit steigender Geschwindigkeit verändert (Volatility) und die zunehmend von Unsicherheit bezüglich der aktuellen Lage und der Zukunft geprägt ist (Uncertainty). In ihr beeinflussen wichtige Faktoren einander und verursachen zunehmend Komplexität (Complexity). Daraus resultiert, dass Eindeutigkeit immer seltener der Fall und vieles mehrdeutig ist (Ambiguity).

Ein traditionelles Strategieverständnis, das nur auf Produktportfolio oder prozessorientierte Modelle fokussiert, wie etwa Leitbildprozesse, ist schon länger nicht mehr State of the Art. Klassische Strategiearbeit, verstanden als methodisch saubere Konzeptarbeit von Analyse bis hin zu Zielbild- und Maßnahmenformulierung, ist nur mehr begrenzt wirksam. Sie wird zunehmend obsolet, weil kaum mehr eindeutige Schlüsse aus Daten zu ziehen sind, sie in der schnelllebigen VUCA-Welt einfach zu lange dauert und nicht immer die relevanten Themen widerspiegelt. Es wird also Zeit, neue Ansätze zu suchen, aber auch bekannte Modelle wiederzuentdecken. So etwa jenes von Mintzberg, der schon früh Flexibilität und Offenheit zuließ, ohne beliebig zu werden. Bewusstes Weglassen von formulierten Strategien beschreibt er beispielsweise als sinnvollen strategischen Modus, um Opportunitäten in einer sich rasch verändernden, digitalen Welt zu nutzen.

Digitalisierung hat im Kontext von Strategiearbeit mindestens zwei Facetten: Sie ist erstens allgegenwärtiger Hintergrund, der unser Handeln und Verhalten in den letzten Jahren massiv verändert hat und auch künftig stark verändern wird. Es klingt fast banal, aber die Welt hat sich tatsächlich dramatisch verändert und damit auch die Kundenerwartungen vieler Unternehmen und Institutionen. Deshalb wird es immer wichtiger in der Strategiearbeit ausreichend Aufmerksamkeit darauf zu richten. Zweitens ist  Digitalisierung auch Treiber für Innovation und Veränderung, etwa in Geschäftsmodellen oder Prozessen. IoT (Internet of Things) oder Industrie 4.0 sind nur zwei Schlagworte, deren wesentliche Elemente die zunehmende Vernetztheit und damit die Aufhebung von bisherigen Grenzen sind. Industrie 4.0 bedeutet, dass Kernprozesse nicht mehr auf die eigene Organisation beschränkt sind, sondern für den gesamten Wertschöpfungsprozess gelten: Beispielsweise werden Kunden, Lieferanten und Partner in einer neuen Form Teil davon oder ganze Wertschöpfungsstufen werden hinfällig. Die Art und Weise, wie Wertschöpfung entsteht, verändert sich dadurch teilweise erheblich. Das erfordert auch ein neues Verständnis dafür, was die Grenzen der Organisation ausmacht beziehungsweise wo diese liegen – ein wichtiger Aspekt für zukunftsfähige Organisationen.

Was macht eine Organisation zukunftsfähig?

  • Eine starke Handlungsorientierung im Anlassfall – Krise oder Opportunität – kommunikativ professionell begleitet. Dies wirkt nach innen und nach außen, unterstützt das Selbstverständnis und stabilisiert damit im Kern.
  • Die Fähigkeit, in der Strategiearbeit kollektive Intelligenz zu nutzen. Das heißt, nicht ein Verwässern durch Durchschnitt, sondern durch kollektives Verarbeiten von vielen, komplexen, mehrdeutigen Signalen bessere Ergebnisse zu erzielen. Das inkludiert auch die Nutzung technischer Möglichkeiten – von digitalen Formen der Kommunikation, um auch disloziert gemeinsam zu denken und zu arbeiten, bis hin zu Schwarmintelligenz und Big Data.
  • Ein Aspekt ist auch, Strategiearbeit als partnerschaftlichen Ansatz mit enger Involvierung von Kunden und Partnern zu sehen.
  • Strategiearbeit in einem weiteren Sinne zu betreiben und sie als Arbeit am Wandel und an der Organisationskultur zu verstehen. Das bedeutet konkret, bei der Prüfung der Umsetzungsvoraussetzungen die »Kulturverträglichkeit« zu berücksichtigen – sonst kann es passieren, dass die neue Strategie nicht wirksam werden kann: Culture eats strategy for breakfast. Wenn etwa der Kern einer strategischen Neuausrichtung eine verstärkte Markt- und Kundenorientierung ist, Kunden aber als Störenfriede im Arbeitsalltag wahrgenommen werden, kann die Neuausrichtung bestenfalls schwierig werden oder per Zufall gelingen. Geht es darum, deutlich agiler und unbürokratischer zu reagieren, nützen auch neueste Lösungen für digital unterstützte Interaktion mit Kunden nichts, wenn diese kaum angewendet werden. Frei nach dem Porter’schen Bonmot »Strategie muss man in den Prozessen erkennen « gilt eigentlich »Strategie muss sich im Verhalten der Schlüsselpersonen manifestieren«. Das ist Ausdruck einer Haltung: Key Account Manager verstehen sich (und heißen) dann »Customer Success Manager«. Strategiearbeit kann also Kultur-, Organisations- und Personalentwicklung erfordern. Die Kulturarbeit ist daher idealerweise ein eigener Workstream eines Strategieentwicklungsprozesses: beginnend mit einer Analyse der Unternehmenskultur, in der die handlungsleitenden Werte, die ungeschriebenen Gesetze sowie die Art und Weise, wie Zusammenarbeit funktioniert, sichtbar und beschrieben werden.

Kommunikation und Moduswechsel

Öffnung und Kooperation sind umso leichter, je fester der eigene Kern, die eigene Identität ist. Weiters erfordert dies auch Sensibilität im Umgang mit den organisationalen Kulturen der Kunden, Lieferanten und Partner sowie die Fähigkeit, mit deren zentralen Werten in einem passenden Modus umgehen zu können. Arbeiten in Netzwerken bekommt eine neue Bedeutung und Herausforderung: Es geht immer mehr um Einbindung unterschiedlicher Gruppen und Systeme. Zunehmend stoßen klassische Organisationsformen an ihre Grenzen. Ein spannendes Thema, das derzeit unter verschiedenen Schlagworten wie agile Organisation, selbststeuernde Organisation, Holacracy – um eine kleine Auswahl anzuführen – diskutiert wird. Denn die Herausforderungen in den vielen Organisationen, wie wir sie kennen, bestehen darin, eine gute Balance aus (Selbst-)Steuerung und Handlungsfähigkeit zu halten und die verschiedenen Akteure gut und kulturkompatibel zusammenzustellen. Für die tägliche Zusammenarbeit sowie für die Strategiearbeit bedeutet das ganz konkret, hohes Augenmerk auf Kommunikation und Feedback zu legen. Das kann eine erhöhte Intensität heißen, aber auch eine adäquate Gestaltung und Mischung aus digitaler Kommunikation und analogen Formen, wie effektiv gestaltete Präsenzmeetings. Das ermöglicht auch emotionale, soziale, haptische Wahrnehmungen und Erfahrungen.

Das Besinnen und Zurückkommen auf das Wesentliche ist aus unterschiedlichen Gründen wichtig. Im Trubel der Hypes und in der als permanent wahrgenommenen Unsicherheit, ist es essenziell, (wieder) den Kern zu finden. Dieses Suchen, Finden, Verstehen und Fokussieren braucht vor allem eines: viel Kommunikation zwischen jenen Personen, die die Ausrichtung und Gestaltung der Organisation betreiben. In der VUCA-Welt ist der klassische Weg, konsequent vom Ist ins Soll zu gehen (auch als Iter-Modus beschrieben), nicht mehr das einzig Wahre. Es braucht auch Phasen des Flux-Modus, des Bereitseins und Aufnehmens – vergleichbar mit Mintzbergs Modell von lebendiger Strategiearbeit. Die Kunst liegt nun darin, den Modus wechseln zu können: Einerseits, eine zeitlang im Flux- Modus zu bleiben, Unsicherheit auszuhalten, um Opportunities wahrnehmen zu können. Andererseits, wo es notwendig wird, im Iter-Modus strukturiert, systematisch und konsequent Strategiearbeit zu betreiben.

Vier zentrale Elemente

Genau spezifi zierte Ziele und vor allem konkrete Vorgaben für alle Ebenen sind nicht mehr adäquat. Wie im Unternehmen mit dem hohen Ausmaß an Unklarheit und Unbestimmtheit umgegangen wird, muss sich in der strategischen Landkarte widerspiegeln. Das bedeutet, diese neu zu zeichnen und dabei auf vier zentrale Elemente einzugehen:

  1. Eine starke Ambition, auch »Aspiration« oder »Big Goals«, die die grundlegende Richtung formulieren. Beispielsweise: »Wir richten uns auf Wachstum aus.«
  2. Guiding Principles, Entscheidungs- und Handlungsprinzipien, die so verstanden und geteilt werden, dass konkrete Ziel- und Handlungsvorgaben zur Orientierung nicht mehr notwendig sind.
  3. Kernkompetenzen oder Metakompetenzen: besondere, nicht (schnell) imitierbare bzw. nachhaltige und vor allem auf neue Märkte, Geschäftsmodelle und Herausforderungen übertragbare Fähigkeiten einer Organisation. Diese erlauben es, die Opportunities, die die VUCA-Welt bietet, zu nutzen – ohne a priori schon definieren zu können oder müssen, welche Fähigkeiten das konkret sind.
  4. Core: die Identität, die Werte, die Mission – das, was den Kern der Organisation ausmacht.

Damit ist klar, dass Strategiearbeit eine zentrale und nicht auf ein Strategieentwicklungsprojekt zeitlich begrenzte Aufgabe ist: Es ist eine originäre Führungsaufgabe, die nicht an Stabstellen oder an Strategieberater delegiert werden kann.