Ein Unternehmen – zwei Systeme

Kapitalgesellschaften und Familienunternehmen unterscheiden sich in einigen Bereichen grundlegend. In Kapitalgesellschaften ist die unternehmerische Verantwortung auf mehr oder weniger anonyme, wechselnde Aktionäre verteilt. Das Management hat die kurz- oder längerfristigen Renditeerwartungen zu erfüllen. Das Zusammenspiel beruht auf eindeutigen Regeln. In Familienunternehmen wird die Verantwortung von Familienmitgliedern getragen. Hier treffen zwei soziale Gebilde – Familie und Unternehmen – aufeinander, die ganz unterschiedlichen Gesetzlichkeiten folgen. Daher ist das Zusammenspiel komplex und in der Praxis oft unklar.

Während in einem Unternehmen eine bewusste Entscheidung für einen Mitarbeiter getroffen wird, erfolgt der Eintritt in ein Familiengefüge per Geburt. Familienmitglieder sind unkündbar und im Gegensatz zu Mitarbeitern nicht austauschbar. Der Wert eines Familienmitgliedes liegt weniger in dem, was es tut, sondern in der Tatsache, dass es ist. Im Unternehmen entscheidet dagegen (fast) ausschließlich der Leistungsbeitrag über den Wert eines Mitarbeiters. Darüberhinaus sind Geben und Nehmen in der Familie grundsätzlich asymmetrisch und über lange Zeiträume angelegt, während im Unternehmen Leistung und Honorierung unmittelbar greifen. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass es in Familienunternehmen wichtig ist, Klarheit darüber zu haben, in welchem System man gerade agiert. Kommt es hier zu unbewusster Vermischung, gefährdet man entweder die Familie, das Unternehmen oder beides.

Eine der Herausforderungen bei der Führung eines Familienunternehmens ist es, sich dieser Unterschiede stets bewusst zu sein und sie in der operativen und strategischen Führungsarbeit im Auge zu behalten.

Bestimmende Verwandtschaftsverhältnisse

Hat ein Familienunternehmen mehrere Geschäftsführer oder Eigentümer, ändert sich von Generation zu Generation das Verwandtschaftsverhältnis zueinander. John L. Ward beschreibt in seinem »Three-stage model of family business«, welche Fragen, abhängig vom Verwandtschaftsverhältnis der Eigentümer/Geschäftsführer, im Strategieentwicklungsprozess relevant werden.

Bei der Suche nach Antworten erweisen sich die »unangenehmen« Fragen als besonders wirksam, um eine gute Basis für den Strategieentwicklungsprozess zu schaffen.

Das Unternehmen wird vom Alleineigentümer/Gründer geführt.

Welchen Zweck hat das Unternehmen für den Eigentümer? Ist für den Eigentümer oder die Familie Spaß und Freude am Unternehmertum der Hauptzweck? Soll der Wert des Unternehmens maximiert werden, auch wenn dies bedeuten würde, es zu verkaufen? Soll die Zukunft des Unternehmens so gestaltet werden, dass es auch zukünftigen Generationen als Lebensgrundlage dienen kann?

Die Anteile am Unternehmen sind unter zwei oder mehr Geschwistern aufgeteilt.

Wie sollen die Anteile am Unternehmen unter den Geschwistern aufgeteilt werden? Sind die Anteile gleich verteilt oder gibt es einen Geschwisterteil mit einem Entscheidungsrecht (golden share)? Sollen alle Geschwister zu gleichen Teilen die Führungsverantwortung tragen oder nur einer? Soll das Unternehmen von einem externen Management geführt werden?

Die Anteile sind unter zwei oder mehr Cousinen/Cousins aufgeteilt.

Sollen nur einige wenige Familienmitglieder das Geschäft führen, damit alle anderen »gut leben« können? Soll das Unternehmen Familienmitgliedern den Start von eigenen Unternehmungen (Start-ups) ermöglichen? Wie fl ießen Erträge im Erfolgsfall wieder zurück? Soll das Familienunternehmen wie ein Kapitalunternehmen geführt werden? Kann jedes Familienmitglied Anteile kaufen und verkaufen?

Das sind nur einige der grundlegenden Entscheidungen, die jede Familie treff en muss. An Zustimmung, dass diese Fragen wichtig sind, fehlt es meist nicht. Trotzdem drücken sich viele vor diesen Fragen und verschenken damit unternehmerisches Potenzial.

Der Strategieentwicklungsprozess

Wer in einem Familienunternehmen die Zukunft wirksam gestalten will, dem sei ein Strategieentwicklungsprozess empfohlen, der die Gesamtheit der Systeme berücksichtigt. Eine Strategie kann dann erfolgreich entwickelt und umgesetzt werden, wenn die für ein Familienunternehmen spezifischen Voraussetzungen geklärt sind.

1. Klarheit in Bezug auf die Familienwerte

Auf welchen Werten sollen der Zusammenhalt in der Familie einerseits und das Unternehmen anderseits basieren? Wie gut passen diese Werte zusammen? Haben alle in der Familie ein ähnliches Verständnis der Werte? Welche Werte hatten die Gründer und wie haben sich diese beziehungsweise deren Interpretationen weiterentwickelt?

2. Klarheit in Bezug auf die Familienvision

Die Verantwortlichen eines Familienunternehmens entwickeln eine Vision davon, wie das Unternehmen in die nächste Generation geführt werden soll. Hier manifestieren sich die familiären und persönlichen Werte der aktuellen Elterngeneration. Nicht nur in komplexen Eigentümerkonstellationen ist eine gute Abstimmung dieser Vision besonders hilfreich und für die erfolgreiche Umsetzung der Unternehmensstrategie unabdingbar. Auch dann, wenn anscheinend alles klar ist, sollte man sich die Mühe machen, genau hinzusehen. Wie gut passen Familienvision und Lebensentwürfe der nächsten Generation zusammen? Gab es ausreichend Raum für Diskussionen auf Augenhöhe? Konnte man Konsens erreichen oder musste sich jemand »opfern«?

3. Klarheit zur zukünftigen Eigentümerstruktur

Die Familienwerte und die Familienvision, aber auch externe Faktoren wie Branche, Märkte, Kultur, Gesetzgebung, Steuern etc. beeinflussen die Entscheidungen zur Eigentümerstruktur. Hier ist die Herausforderung, den Erkenntnissen aus Schritt 1 und 2 wirklich jene Bedeutung beizumessen, die sie haben. Beispielsweise können ausgehend von den Annahmen, wie die eigene Familie tickt, unterschiedliche Entscheidungen getroffen werden. Geht man davon aus, dass gemeinsamer Besitz den Zusammenhalt fördert, entscheiden sich Familien eher für eine partnerschaftliche Eigentümerstruktur. Im Gegensatz dazu begünstigt die Annahme, dass geteilte Verantwortung für mehr Streit sorgt, eher die Weitergabe an eine Person.

Diese wenigen Beispiele zeigen, wie eng Familie und Unternehmen miteinander verzahnt sind und wie wichtig es daher ist, sich Zeit für die Klärungen gemäß den Schritten 1 bis 3 zu nehmen. Erst danach kann mit einer klassischen Strategieentwicklung begonnen werden.