Wer das Tagesgeschäft vernachlässigt stirbt heute, wer die Strategiearbeit vernachlässigt stirbt morgen.

Objectives and Key Results (OKRs) ist ein agiles Management-System zur zielgerichteten und modernen Mitarbeiterführung. Erfunden von Intel, und populär geworden durch den Einsatz bei Google, hat diese „Methode“ mittlerweile auch in deutschen und österreichischen Unternehmen Einzug gehalten. Wie diese im Detail funktioniert haben wir bereits hier und hier beschrieben.

OKR bietet viele Vorteile, aber auch so manche Mythen ranken sich um dieses Thema. An dieser Stelle möchten wir mit den fünf häufigsten Falsch-Annahmen aufräumen und die − aus unserer Sicht − wichtigsten Erfolgsfaktoren darstellen.

Mythos #1: OKR eignet sich gut, um auch gleich das Tagesgeschäft zu managen

Gleich vorweg: Der Hauptnutzen von OKR liegt im Managen der Strategieumsetzung („Strategizing“ und „Strategy Execution“). Damit jedoch Zeit und Ressourcen für die Arbeit an der Strategie da sind, müssen sich die jeweiligen Personen vom Tagesgeschäft freispielen und sich einen Schutzraum bauen. Natürlich entstehen so Zeit- bzw. Ressourcen-Konflikte, doch genau dieses Spannungsfeld gilt es mit OKR explizit zu machen und auch nachhaltig zu lösen.

Zu Beginn einer OKR-Implementierung sollte die entscheidende Kernfrage an Führungskräfte daher sein: Was von dem, was ich im Tagesgeschäft mache, folgt überhaupt der Strategie? Was kann ich delegieren oder gar weglassen, um Zeit für die Arbeit an OKR zu gewinnen?

Insofern haben Tagesgeschäft und OKR eine enge Verbindung. Ziele aus dem OKR können in weiterer Folge zum Tagesgeschäft werden und/oder OKR verändert über die Ziele das Tagesgeschäft. Dennoch ist es erfolgskritisch, eine scharfe Trennlinie zu ziehen und genau diesen Schutzraum für die Arbeit an OKR zu schaffen.

Dies deshalb, weil die Logiken des Tagesgeschäfts (Run the Business) und jene der Strategiearbeit (Change the Business) unterschiedlich sind! Im Tagesgeschäft ist grundsätzlich klar, was getan werden muss. Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung sind bekannt und es gibt etablierte Routinen, die abzuarbeiten sind (Umsetzermodus).

Das Betriebssystem OKR ist hingegen auf komplexe strategische Herausforderungen ausgerichtet, wo Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung nicht klar sind und daher vom Umsetzer- in den Entdeckermodus gewechselt werden muss. Packt man jedoch alle oder zu viele Tätigkeiten ins OKR, geht der Fokus verloren und das Betriebssystem OKR verliert seine Wirksamkeit.

Mythos #2: Richtige Ziele haben nur noch eine Zielerreichung von 60 bis 70 Prozent

Diese, eher verwirrende Aussage stammt ursprünglich aus einem Google-Video, welches darauf abzielt, den Google-Ansatz des „Goal Stretchings“ gut zu vermitteln. Dem liegt die Hypothese zugrunde, Ziele so weit zu „überdehnen“ und unerreichbar zu machen (so genannte „Moonshots“), dass Mitarbeiter*innen außerhalb des üblichen Vorstellungsrahmens denken und Lösungen suchen. Dies ist grundsätzlich möglich, doch es ist illusorisch zu glauben, dass Mitarbeiter*innen einfach so in diesen Modus wechseln können.

Dafür bedarf es einer etablierten Lernkultur (anstatt der oftmals vorherrschenden Fehlerkultur), Innovationskraft und -management-Kompetenzen sowie ausreichend freier Ressourcen im Unternehmen. Mindestens drei Aspekte, die aus unserer Beratungserfahrung in Organisationen selten sofort bedient werden können.

Abhängig vom Durchschnittsalter der Teams und der Reife des Unternehmens ist davon abzuraten, in der Anfangsphase von OKR mit kaum erreichbaren Zielen zu arbeiten. Das heißt, dass Ziele auch zu 100 Prozent erreichbar sein dürfen, wenn dies so mit dem Team vereinbart wird.

Andersrum muss aber auch klargestellt sein, dass im strategischen Raum eine Zielerreichung unter 100 Prozent nicht zwangsläufig aussagt, dass man gescheitert ist. Die wichtigste Frage, neben der Zielerreichung, ist immer jene nach den zentralen Learnings der letzten drei Monate und der Vereinbarung dazu, was im nächsten Zyklus fortzusetzen, was abzubrechen und was anders zu machen ist.

Mythos #3: OKRs müssen auf Einzelpersonenebene beginnen, oder zumindest auf diese heruntergebrochen werden können

Dieser Mythos wird oft von OKR-Softwareanbietern am Leben erhalten. Inwieweit damit auch geschäftliche Interessen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Lizenzen stehen, ist ungewiss. Natürlich kann es OKRs auf Einzelpersonenebene geben, aber sie dienen in diesem Fall meist der Selbstorganisation einer einzelnen Person. Dies kann nutzenstiftend sein − der Beitrag zur Wertschöpfung der Gesamtorganisation ist jedoch eingeschränkt.

OKR lebt von Teamspirit, von der Energie des gemeinsamen Tuns und von den gemeinsam erreichten Zielen. Die kleinste kritische Einheit in der Strategieumsetzung ist im OKR-Betriebssystem immer ein Team.

Wie eingangs erwähnt, ist OKR das Betriebssystem für den Entdecker- und nicht für den Umsetzermodus. Letzterem können wir uns nicht entziehen, die täglichen Unternehmensroutinen („das Dringende”) geben Mitarbeiter*innen keinen großen Spielraum. Der Entdeckermodus („das Wichtige”) ist hingegen anstrengender, lässt sich allzu leicht vom Tagesgeschäft verdrängen und braucht umso mehr Ansporn, Motivation und nicht zuletzt das kreative Potential der Gruppe.

Mythos #4: Objectives kommen von oben, die Key Results dazu sollen die Mitarbeiter*innen erfinden

Es wäre zwar praktisch hier in hierarchischem Denken zu bleiben, im Führungskreis die Objectives zu erarbeiten und dann von den Teams zu erwarten, die jeweiligen Key Results zu finden. Dies funktioniert jedoch aus inhaltlicher/fachlicher Sicht nicht und führt bei den Mitarbeiter*innen zwangsläufig zu Demotivation und weniger Performance.

Objectives und Key Results gehören als Set zusammen. Das eine kann nicht ohne das andere existieren. Daher kann ein OKR-Set auch nur von einem selbstverantwortlichen Team erarbeitet, bearbeitet und in weiterer Folge bewertet werden. Dies heißt jedoch nicht, dass nicht Transparenz über alle Hierarchieebenen herrschen und dass nicht ein Alignment stattfinden sollte, bevor der Zyklus nach dem OKR-Planning in den Teams beginnt.

Es gilt aber stets das Prinzip „loosley coupled“ anstelle von „strict cascading“.

Mythos #5: OKR rechnet sich schon nach dem ersten Zyklus

„OKR ist doch auch nur eine Methode, die man unseren Mitarbeiter*innen einfach nur „beibringen“ muss, …  ein paar Bücher lesen und dann funktioniert das schon!“  

Die Wahrheit dazu ist aber, dass OKR eine Chance darstellt, die neben der Führungskunst richtige Ziele zu formulieren, jedenfalls auch Fokus, Konsequenz in der Umsetzung und ein entsprechendes Mindset in der Organisation benötigt. Es geht also nicht vordergründig um Wissen, sondern um Können – und Können entsteht ja nicht zwangsläufig aus Wissen.

Können wird nur durch Ausprobieren, Wiederholen, Machen von Fehlern und einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess erlangt – am besten mit einem OKR Master oder einem bzw. einer Berater*in.

Aus unserer Sicht braucht es, auch bei einer guten Begleitung, meist drei bis vier Zyklen, bis Unternehmen so weit sind, wirklich großen Nutzen aus OKR zu ziehen. Sofern aber die Einführung von OKR wirklich gründlich und systemisch erfolgt, entwickelt die Organisation innerhalb kürzester Zeit eine gewaltige Veränderungsenergie.