In einer Studie der Bertelsmann Stiftung gaben zwei Drittel der Befragten aus Unternehmen aller Größen an, mit Engpässen an Fachkräften zu kämpfen. Dabei stellt sich die Frage, wie man talentierte, »high-potential« Mitarbeiter:innen für das eigene Unternehmen gewinnen, und noch viel wichtiger, wie kann man sie halten und weiterentwickeln kann. New Work soll Antworten darauf geben.

Viele Menschen verbinden mit dem Begriff New Work Office Yoga, den über-beanspruchten und nie bespielten Ping Pong Tisch, Haustiere, die ihnen am Gang entgegenlaufen, und den Chief Happiness Officer. Ihn jedoch mit diesen Symbolen gleichzusetzen wäre eine Übersimplifizierung eines wertvollen Konzepts. Außerdem ruft er – nicht ganz ungerechtfertigt – oftmals Abwehrreaktionen erfahrener Führungskräfte hervor, die ihn als vermeintlich im Widerspruch zu Fleiß, harter Arbeit und Verantwortung erachten. In Führungskräftetrainings hören wir als Gegenreaktion zu Methoden und Tools, die mehr Freiraum zulassen, oftmals Kommentare wie »Wir sind ja nicht am Ponyhof« und »Es kann nicht jeder Erster werden«. Doch New Work bedeutet nicht »No Work«.

New Work ermöglicht es allen, ihr volles Potenzial zu entfalten

Ganz im Gegenteil: Während der Begriff sehr unterschiedlich verwendet wird und daher eine gewisse Unschärfe in sich trägt, inkludiert er in vielen Fällen selbstbestimmte Arbeit, Eigenverantwortung und Ergebnisorientierung. Er umfasst jene Arbeitsweisen und Arbeitsbedingungen – und dabei nicht zuletzt Raumkonzepte – die es vor allem (aber nicht nur) jüngeren Generationen möglich macht, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Dabei sprechen wir nicht mehr nur von Millenials, sondern auch der darauffolgenden Generation Z.

Die Geburtsjahrgänge von 1995 aufwärts sind nämlich bereits wesentlicher Bestandteil der Arbeitswelt. Um New Work zu verstehen, ist es daher auch wichtig, sich in diese Generation hineinversetzen zu können. Angelehnt an Simon Sinek könnte man sich fragen: Wie wurde diese Generation sozialisiert? Nach welchen Prinzipien wurden frühere Generationen wie Boomer und X aufgezogen? Überlegungen zur eigenen Kindheit beziehungsweise der Kindheit der eigenen Kinder können hier Aufschluss geben. Gleichzeitig ist es essenziell, New Work nicht als starres Konzept zu verstehen, sondern zu hinterfragen und zu beantworten, worauf New Work eine Antwort und Lösung sein soll.

Wie ticken diese Generationen?

Generation Z ist die erste Generation, die vollends »digital« aufwächst und stellt besondere Anforderungen an ihren Arbeitsplatz: Während frühere Generationen dazu angeleitet wurden »durchzubeißen«, fragt sich diese »Warum sollten wir?« oder »Gibt es
dafür nicht einen besseren und leichteren Weg?«.

Generation Z legt weniger Wert auf Bezahlung als jede andere Generation – der Job muss interessant und erfüllend sein. Sie erwartet von Firmen einen positiven gesellschaftlichen Beitrag. 38 Prozent betrachten auch die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben als oberste Priorität bei der Wahl eines Arbeitgebers. 60 Prozent wünschen sich wöchentlich mehrere Rückmeldungen von ihren Manager:innen. So, wie die Millenials vor ihnen, bringt somit auch diese Generation komplett neue Prioritäten, Werte und Bedürfnisse mit sich. Wer darauf als Arbeitgeber:in nicht eingeht, riskiert, an Attraktivität zu verlieren.

Doch was genau verbirgt sich hinter den Symbolen von New Work?

Von welchem Menschenbild gehen wir aus? Die Grundannahme, die im Zentrum des New Work-Verständnisses steht, geht auf McGregors »Theory X / Y« zurück: Jeder Mensch hat das Potenzial, kreativ, selbstbestimmt und unternehmerisch zu arbeiten.
Dabei bestimmt unter anderem auch die Sozialisation, ob jemand stärkere X- oder Y-Ausprägungen vorweist. Jede:r kann sich aber mit Hilfe der richtigen Einflüsse (Führungskräfte, Kolleg:innen, Familie, Freunde etc.) mehr in Richtung Y entwickeln.

Der Negative Kreislauf der X-Theorie
Der Negative Kreislauf der X-Theorie

 

Unterschiedliche Führungs- oder Erziehungsstile verstärken somit die X- oder Y-Ausprägungen von Menschen.

Der Positive Kreislauf der Y-Theorie
Der Positive Kreislauf der Y-Theorie

 

Nach welchen Prinzipien sollen Organisationen und ihr Führungskräfte also agieren, damit der positive Kreislauf der Y-Theorie in Gang gesetzt oder verstärkt wird?

Daniel Pink gibt mit seinem Buch »Drive – what really motivates people« eine gute Antwort. Diese war für uns und viele unserer Kund:innen hilfreich: Purpose, Mastery und Autonomy.

Besagte Menschen schaffen es nämlich auch im Privatleben, wichtige Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen, Prozesse voranzutreiben und Kosten-/Nutzenrechnungen durchzuführen. Und das ganz ohne dass ihnen jemand sagt, wie sie das machen sollen: Welches Auto kaufe ich/wir? Wie finanziere ich meine Wohnung? Wie erziehe(n) ich/wir meine/unsere Kinder?

Purpose, Mastery und Autonomy

Eine wichtige Grundvoraussetzung, damit selbstbestimmtes Arbeiten in einer großen Organisation gut harmoniert, ist ein gemeinsamer Purpose. Ein Purpose kann allen Energie und Orientierung geben. Der gemeinsame Purpose (warum wir das tun…), der alle verbindet, muss allerdings gut mit Selbstbestimmung (wie wir arbeiten…) ausbalanciert werden.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass sich kurzfristig gesetzte, finanzielle Anreize negativ auf die Leistung von kreativer und anspruchsvoller intellektueller Arbeit auswirken kann. Das Prinzip von Mastery unterstützt unser Streben nach Verbesserung auch in der Arbeit. Warum beschäftigen sich Menschen stundenlang mit Musikinstrumenten, Sudokus, Handwerk, Kunst und anderen Hobbies, ohne eine Aussicht auf finanzielle oder soziale Anerkennung? Weil sie Freude daran haben, besser zu werden – und das vorzugsweise in einer selbstbestimmten Umgebung.

Treffen Purpose, Mastery und Autonomy aufeinander, führt dies nicht nur zu einer gesteigerten Performance sondern in weiterer Folge auch zu Value creation für das Unternehmen. Den Nährboden dafür bildet dabei Recognition – die Wertschätzung, die dem Einzelnen und der Einzelnen entgegengebracht wird und die vor allem jüngeren Generationen besonders wichtig ist.

Wenn diese Prinzipien von Organisationen und Führungskräften nicht unterstützt werden, bleibt New Work nur eine leere Hülle von hohlen Artefakten und Symbolen. Daher wäre es sinnlos zu versuchen, New Work-Arbeitsweisen in Organisationen einzuführen, ohne sich die Frage zu stellen: Wollen wir uns als Führungskräfte mit diesen Prinzipien auseinandersetzen und sie auch selbst leben? Bei diesen Strukturmerkmalen kann man ansetzen:

  • Durchlässige, flache Hierarchie, in der jede:r auf jede:n zugehen kann, um über Herausforderungen, Ziele und Purpose zu sprechen und jeder:m Respekt, Anerkennung und Interesse entgegengebracht wird.
  • Integrative Entscheidungsfindungs- und innovative Kollaborationsprozesse: Gemeinsames, strukturiertes Brainstorming, der Einsatz unterschiedlicher Entscheidungsmodi und viele weitere Tools erlauben Einzelpersonen und Teams, spielerisch kreative und innovative Höchstleistungen zu erbringen.
  • Multidirektionale Führung und Selbstführung: Führung sollte nicht nur top-down erfolgen, sondern jede:r in der Organisation hat die Verantwortung zu führen und kann einen Führungsbeitrag leisten. Führung umschließt nämlich all jenes , was dazu
    beiträgt, eine Organisation zu lenken und Menschen zu fördern.

Wichtig ist zu erkennen, dass es sich bei derartigen Veränderungen nur um einen Prozess handeln kann und allzu hohe Ansprüche von Beginn an womöglich hemmend wirken.

Wie können wir diesen Prozess starten?

Mit dem von der ICG entwickelten »New Work Canvas« (siehe Abbildung) möchten wir versuchen, diesem überbemühten und unterdefinierten Begriff Struktur zu geben und ihn greifbarer zu machen. In vier Quadranten stellt er beispielhaft Konzepte, Methoden und Tools zum Thema New Work dar. All das ohne Anspruch auf Vollständigkeit, denn wie bereits erwähnt, sind starre Definitionen hier fehl am Platz. Dabei sprechen wir von den Themen Arbeitsmodellen und Zusammenarbeit, Technologie und Räumlichkeit, Führung, Organisation und Skills und Mindset sowie Kultur.

Der Canvas ist dabei sicherlich nicht als Handlungsvorschlag, sondern als Menükarte zu verstehen, die ständig erweitert werden kann, Organisationen einen Überblick gibt und Möglichkeiten aufzeigt.

New Work(shop)

Um aus dem New Work Canvas jene Elemente auszuwählen, die für die eigene Organisation wertvoll sind und New Work für die Organisation überhaupt zu definieren, braucht es einen Dialog zwischen Führungskräften und Mitarbeiter:innen. Dies inkludiert
nicht zuletzt die Mitarbeiter:innen der nächsten Generation, deren Vorstellungen von Arbeitsweisen in einem dialoghaften Setting eruiert und in Einklang mit den Aufgaben und Zielen der Organisation gebracht werden müssen. Diese Vorstellungen können (angelehnt an Herzberg) in Hygienefaktoren und Motivatoren geteilt werden: Dabei gilt es zu erkennen, dass Rahmenbedingungen wie Gehalt, Urlaubstage und HomeOffice-Regelungen lediglich das Potenzial haben, Unzufriedenheit zu reduzieren, während tatsächliche Motivation nur intrinsischer Natur sein kann und aus dem Job selbst kommen muss. Hier gilt es, beispielsweise mit Leadership Tools, die Leistung wertzuschätzen und Verantwortung abzugeben, den Purpose klar zu artikulieren und weiterzuentwickeln oder Aufgaben und Rollen im Sinne von »Job Crafting« neu zu denken.

New Work Canvas
New Work Canvas

 

Nach einer ersten Bestandsaufnahme ist es wichtig, nicht gleich die gesamte Organisation neu erfinden zu wollen: Probieren Sie in Abstimmung mit Ihrem Team ein bis zwei leichtgängige Tools aus und beobachten Sie die Veränderung, die sie damit bewirken. Gehen Sie in Selbstreflektion zu ihrem Führungsverständnis. Holen Sie die Rückmeldung der Teammitglieder ein, auch zu Ihrem Führungsverhalten (unterstütze ich die New Work-Prinzipien und -Arbeitsweisen) und bauen Sie auf dem positiven Momentum auf, um tiefergehende Veränderungen der Arbeitsweisen im Rahmen eines Prozesses durchzudenken und schließlich auch aufzugleisen. Sie werden sich wundern, wieviel Selbstvertrauen und Eigenverantwortung Mitarbeiter:innen an den Tag legen, sobald die Führungskraft »den Raum verlässt«.