Warum die meisten Führungskräfte bei Innovation scheitern

Führungskräfte befassen sich aus guten Gründen und mit bester Absicht zu allererst mit dem Tagesgeschäft. Wir nennen das Management und wissen, welche Methoden und Tools es dafür braucht und welches Umfeld dafür taugt. Dieses Know-how haben wir in unserer Laufbahn erlernt und erfolgreich angewandt. Viele der nützlichen Werkzeuge aus dem Managementbaukasten sind allerdings kontraproduktiv, wenn es darum geht neue Produkte zu entwickeln und Innovation zu betreiben. Welche Fehler Führungskräfte typischerweise begehen und was Innovationsteams wirklich brauchen, erfahren Sie in diesem Insight.

Es war einmal…

Lassen Sie uns mit einer kurzen Geschichte beginnen. Sie handelt von einem Landwirt und seinen beiden Kindern. Dieser Landwirt übernahm vor vielen Jahren den Betrieb seines eigenen Vaters. Der Betrieb umfasste damals zehn Kühe. In all den folgenden Jahren baute er den Betrieb mit konsequenter Arbeit weiter aus. Heute besitzt der Landwirt 80 Kühe und seine gesamte Familie ist in die tägliche Arbeit miteingebunden. Seine beiden Kinder leisten jeweils einen wichtigen Beitrag: Das ältere Kind ist konsequent in seines Vaters Fußstapfen getreten. So wie er, sucht es nach Möglichkeiten, den Betrieb zu optimieren und mit weiteren Kühen auszustatten. Sein jüngeres Kind ist anders gestrickt: Es interessiert sich für alternative Möglichkeiten, den Betrieb wachsen zu lassen. Es hat Bedenken, nur auf den Milchbetrieb mit Kühen zu setzen und möchte mit Neuem experimentieren.

Dem Landwirt fällt es leicht, mit seinem älteren Kind zu reden. Mit ihm führt er angeregte Gespräche über Investitionen und erwartbare Erträge im Geschäft mit der Milchproduktion. Sie diskutieren die möglichen Schwierigkeiten am Markt und mit welchen Optimierungsmaßnahmen sie ihren Betrieb wachsen lassen können. Sie haben eine gemeinsame Sprache und dieselben Ziele, an denen sie sich orientieren.

Mit seinem jüngeren Kind tut sich der Landwirt schwerer. Es spricht vom Ausprobieren neuer Dinge: von biologischer Milchwirtschaft, Ergänzung durch Ziegenmilch, der Nutzung von Weideflächen für den Anbau neuer Gemüse oder Fruchtarten sowie der Einrichtung eines Hofladens. Es spricht von Versuchen, die es durchführen möchte, um herauszufinden, was die Kunden ansprechen könnte. Es kann jetzt noch keine konkreten Erträge seiner Ideen versprechen, sondern möchte Neues einfach ausprobieren. Für den Landwirt sind diese Gespräche viel zu vage und unkonkret. Er versteht sein jüngeres Kind nicht und kann sich mit ihm nicht auf die gleiche angeregte Art unterhalten wie mit seinem älteren. Manchmal wird er auch unwirsch und fordert es auf, ihm konkrete Ertragsmöglichkeiten seiner „verrückten“ Ideen zu liefern, dann könnten sie ja über Finanzierung reden. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist dies dem jüngeren Kind noch nicht möglich.

Der Landwirt widmet seinem älteren Kind mehr Aufmerksamkeit während er das jüngere und seine Ideen immer weniger beachtet. Schlussendlich verlässt das jüngere Kind den Hof und versucht, sein Glück woanders zu finden.

Fünf Gründe, die in der Praxis den Entdeckermodus hemmen

Wie der Landwirt in dieser Geschichte, müssen sich Führungskräfte von Unternehmen, die den Anspruch haben neben dem Tagesgeschäft auch Innovation voranzutreiben, mit zwei sehr unterschiedlichen Betriebsmodi und deren „Sprachen“ (Vorgehensweisen, Prinzipien, Messgrößen und relevanten Fragen) auseinandersetzen – dem Umsetzermodus (des älteren Kindes) und dem Entdeckermodus (des jüngeren Kindes). Doch leider ist das keine leichte Aufgabe – woran liegt das?

1. Daily Business eats innovation for breakfast.

Was immer Sie an guten Vorsätzen in Bezug auf Ihre Innovationsvorhaben haben: Sobald es budget- und vor allem ressourcenseitig eng wird, wird in den meisten Fällen das Tagesgeschäft priorisiert und Innovation zurückgestellt. Innovation ist in vielen Unternehmen zwar wichtig, aber oftmals nicht dringend genug und zieht damit in kritischen Situationen schnell den Kürzeren. Dies verhindert Kontinuität im Entdeckermodus. Mitarbeiter:innen sehen kaum eine Möglichkeit, sich in Innovationsvorhaben profilieren zu können. Sie werden oftmals kurzfristig ins operative Geschäft abgezogen und können dort viel rascher Anerkennung für Geleistetes erhalten. Damit kann sich der Entdeckermodus nicht entfalten und etablieren, es entsteht keine Geläufigkeit im Anwenden von passenden Prinzipien und Methoden im Unternehmen.

2. Es fehlt die Klarheit darüber, dass Innovationsvorhaben ein anderes Betriebssystem benötigen als das operative Geschäft.

Das operative Geschäft, das 90 % der Zeit im Vordergrund steht, wird kontinuierlich verfeinert, die notwendigen Optimierungsmethoden und Werkzeuge auf allen Ebenen des Unternehmens geschult und eingeführt. Manager:innen beschäftigen sich mit Operational Exzellenz-Programmen, die darin definierten KPIs und trainierten Betrachtungsweisen auf das Unternehmen gehen in Fleisch und Blut über. Sprache, Methoden und Voraussetzungen für die Umsetzung werden perfektioniert. Leider ist dieser Rahmen völlig ungeeignet für das Bearbeiten von radikalen Innovationsvorhaben (siehe Punkt drei). Damit gehen viele Führungskräfte Innovation wie ein Optimierungsproblem an, mit dem Resultat kleiner, aber langfristig unbefriedigender Erfolge.

3. Es fehlt die Geläufigkeit mit dem Vokabular für Innovationsvorhaben.

Mit der Sprache für Innovation meinen wir die Vorgehensweisen, Prinzipien, Messgrößen und relevanten Fragen, die für die wirksame (Durch-)Führung eines Innovationsvorhabens vorteilhaft sind. Diese ergeben sich daraus, dass die Aufgabe eines Innovationsteams zunächst primär darin liegt, Ungewissheit rasch und günstig abzubauen, während es im operativen Geschäft mit seiner hinreichenden Planbarkeit um effiziente Abwicklung geht.

Hier ein paar Beispiele zu den Unterschieden:

Es ist so, als wenn Sie sich in einem fremden Sprachraum verständigen wollten. Wenn Sie nur Ihre Muttersprache beherrschen, wird das sehr mühselig, für beide Seiten anstrengend und reich an Missverständnissen. Wenn Sie allerdings in beiden Sprachen zu Hause sind, wird es Ihnen leichter fallen, Kontakt zu knüpfen, freundlich aufgenommen zu werden, angeregte Gespräche zu führen und sich in gegenseitiger Wertschätzung zuzuhören.

Übertragen auf unsere Situation: für erfolgreiche Innovationführer:innen ist es notwendig, sich neben der eigenen Muttersprache (Umsetzermodus) eine neue Sprache für den Entdeckermodus anzueignen und zudem sehr bewusst kontextabhängig zwischen den beiden Sprachen zu wechseln. Dies ist in zweifacher Hinsicht eine Herausforderung:

  • Das Erlernen einer Sprache für nur wenige Anlassfälle und somit wenig Gelegenheiten fürs Üben gestaltet sich als schwierig. Wenn Sie also 90 Prozent Ihrer Zeit im operativen Tagesgeschäft gefordert sind – wann finden Sie die Zeit, um die Vorgehensweisen, Prinzipien, Maßstäbe und Fragen, die für die wirksame Führung eines Innovationsvorhabens nötig sind, zu verinnerlichen?
  • Selbst wenn Sie die Sprache beider Seiten gut verinnerlicht haben, gilt es, die richtige im jeweiligen Kontext zu wählen. Es ist unpassend, in der frühen Phase eines Innovationsvorhabens einen belastbaren Businessplan zu fordern. Genauso ist es unpassend, die Entscheidung für den Bau einer neuen Produktionshalle vom leistbaren Verlust abhängig zu machen.

4. Den Innovationsprojekten wird nicht die angemessene Aufmerksamkeit geschenkt.

Die zentrale Konsequenz des Mangels an der passenden Sprache für Innovation auf Führungsebene ist, dass (wie bei der Geschichte mit dem Landwirt) die wertschätzende Aufmerksamkeit für Innovationsvorhaben nicht ausreichend erbracht wird. Innovationsteams, die mit der Frage nach erwarteten Erträgen und kommittierten Zeitplänen konfrontiert sind, werden schnell frustriert oder orientierungslos, denn zunächst einmal gilt es auszuloten, was die potenziellen Kunden tatsächlich nützlich finden. Was sie in dieser Phase wirklich brauchen, ist echtes Interesse der Führungskraft an der Grundidee und die Ermutigung dazu, die vielen anfänglich offenen Fragen in der Außenwelt zu überprüfen.

Es geht jedoch auch nicht darum, dem Innovationsteam eine Spielwiese zu bieten. Innovationsteams sollen und wollen sich an herausfordernden Vorgaben messen. Diese müssen jedoch in der Sprache für Innovationsvorhaben formuliert werden. Man kann zum Beispiel nach der Anzahl der persönlich durchgeführten Interviews mit Zielkunden und der daraus abgeleiteten Erkenntnisse fragen. Ein kontinuierlicher interessierter Austausch der Führungskraft über die inhaltlichen Fortschritte des Innovationsteams ist der wichtigste Treibstoff für den Erfolg eines Innovationsvorhabens.

5. Der Aufwand zur Schaffung der Voraussetzungen für ein arbeitsfähiges Innovationsteam wird unterschätzt.

Innovationsteams haben die primäre Aufgabe, Ungewissheit in Bezug auf die Machbarkeit einer Idee sehr rasch abzubauen – mit Blick auf die Dimensionen Kundenbegeisterung, Businessmodell und technische Machbarkeit. Hierfür ist die Unterstützung der Führungskraft entscheidend. Zu Beginn braucht es ausreichend Dialog zur Klärung der strategischen Ambition, die mit einem Innovationsvorhaben verfolgt wird. Das Team muss die Motivation und Erwartungen der Führung ausreichend gut verstehen und die damit verbundenen Erwartungen zu seinen Zielen machen. Entlang des Projektes wird das Team öfter auf unerwartete Hürden treffen, die es auf unkonventionelle Weise zu meistern gilt und braucht oftmals Unterstützung, um nicht in Bürokratie unterzugehen oder durch Abziehen von Ressourcen geschwächt zu werden. Das aufrichtige Interesse der Führungskraft, zum Beispiel in einem regelmäßigen Jour fixe vor Ort im Teamprojektumfeld, hilft die Energie des Teams konstant hochzuhalten und gemeinsam nötige Entscheidungen zu treffen.

Zuletzt noch ein wichtiger Punkt: Innovationsteams werden im Zuge ihrer Explorationsarbeit mit unerwarteter Rückmeldung aus der Außenwelt konfrontiert. Kunden sehen vielleicht keinen ausreichenden Nutzen in der Idee oder sind nicht bereit, dafür das auszugeben, was sich das Unternehmen erhofft. Wichtig ist, dass die Führungskraft diese Rückmeldungen nicht als Fehlschläge abqualifiziert. Sie kann stattdessen wichtige Erkenntnisse daraus mit dem Team diskutieren und Orientierung geben, ob und wie weit vom ursprünglichen Weg abgewichen werden soll. Und manchmal kann es bedeuten, ein Projekt zu stoppen – gerade damit wird oft viel zu lange gewartet.

Beide Kinder im Betrieb halten

Wir haben in unserer Arbeit mit Innovationsverantwortlichen und ihren Innovationsteams erlebt, welchen Unterschied es macht, wenn Führungskräfte ihr bisheriges Handeln mit den hier beschriebenen, fünf Innovationsschmerzpunkten kritisch abgleichen. Wenn Führungskräfte ihr Repertoire an Interventionen damit erweitern und kontextabhängig bewusst einsetzen, sprechen die Erfolge für sich. Wir sind überzeugt, dass in Zukunft ein rasches Innovieren genauso zum täglichen Brot erfolgreicher Unternehmen gehört wie auch effizientes Umsetzen. Das Betriebssystem für Innovation muss mit passender Sprache auf allen Ebenen der Organisation Einzug finden. Oder in den Bildern der Geschichte zu Beginn: Es gilt für den Landwirt, die Sprache beider Kinder zu sprechen, denn nur gemeinsam können sie dafür sorgen, dass es dem Betrieb heute UND morgen gut geht.

 

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