Es gibt Menschen, die gerade in ungewissen Situationen besonders wirkungsvoll agieren: erfahrene Entrepreneure. Sie haben sich seit jeher darauf spezialisiert, ins Ungewisse hinein zu  handeln und die Welt zu gestalten. Nicht umsonst wird in VUCA-Zeiten auch in etablierten Unternehmen der Unternehmergeist beschworen. Lernen von Start-Ups, Entrepreneurship und Intrapreneurship sind daher in Mode. »Unternehmerisch denken« gilt neuerdings als Schlüsselfähigkeit in nahezu allen Unternehmensbereichen und auf allen Hierarchieebenen. Doch kaum jemand kann erklären, wie genau das geht. Was macht erfolgreiche Entrepreneure wirkungsvoll? Und wie nutzt man das im etablierten Unternehmen?

Erklärbar und trainierbar

Um das unternehmerische Mindset jenseits der gängigen Klischees zu verstehen, muss man sehr erfahrenen Entrepreneuren beim Lösen von Problemen zuhören. Genau das taten Kognitionswissenschaftler wie Professor Saras Sarasvathy von der Darden Business School. Mit Laut-Denk-Experimenten hat Sarasvathy Prinzipien entschlüsselt, die jeder lernen kann. Sie prägte den Begriff »Effectuation« (von lat. effectus = Wirksamkeit) als Fachbegriff für eine Logik unternehmerischen Denkens und Handelns (vgl. S. D. Sarasvathy 2001). Was Effectuation gerade für bestehende Unternehmen so spannend macht: Das unternehmerische Mindset wirkt, wenn das Umfeld unsicher ist und exakte Vorhersage oder Planung nicht möglich sind.

Was macht den Unterschied?

So sehen Entrepreneure die Welt: »Ich kann die Zukunft zwar nicht vorhersagen, trotzdem kann ich sie formen und gestalten.« Wie genau Entrepreneure die Zukunft formen und gestalten, wenn keine gute Grundlage für Vorhersage und Planung besteht, kann man in vier Effectuation-Prinzipien beschreiben, die jeder lernen kann. Doch Vorsicht! Die Prinzipien stellen in Frage, was gemäß eines Corporate Mindset als professionell angesehen wird:

1. Prinzip der Mittelorientierung

Laut Corporate Mindset gilt: Setze klare Ziele und suche dann nach Mittel und Wegen, die Ziele rasch, Unternehmergeist wecken günstig und sicher zu erreichen. Doch was sind die passenden Ziele, wenn Situationen volatil, mehrdeutig und noch ungewiss sind? Unternehmerisch handeln beginnt daher mit den verfügbaren Mitteln. Erfahrene Unternehmer fragen sich »Wer bin ich, was weiß ich und wen kenne ich? Und was kann ich daraus machen?« Daraus ergeben sich mehrere Alternativen und man kann damit ins Ungewisse hinein handeln.

2. Prinzip des leistbaren Verlusts

In Unternehmen werden oft nur diejenigen Vorhaben gestartet, die bereits am Papier den besten erwarteten Ertrag versprechen. Nun lassen sich im VUCA-Kontext erwartete Erträge oft nicht hinreichend abschätzen, da deren Realisierung eben ungewiss ist. Zu komplex ist das Umfeld und zu sehr ist man vom zukünftigen Verhalten anderer Akteure abhängig. Erfahrene Unternehmer orientieren sich daher am leistbaren Verlust: Sie überlegen, was man für ein Vorhaben aufs Spiel setzen möchte – ganz egal wie es ausgeht. Anstatt Kopf und Kragen aufgrund gewagter Vorhersagen zu riskieren, kann man sich so ins Ungewisse vortasten und damit Gelegenheiten kreieren, die anfangs gar nicht sichtbar waren: Man kann, in Bildern gesprochen, in Richtung Indien lossegeln, um unterwegs Amerika zu entdecken.

3. Prinzip der Umstände und Zufälle

Das Corporate Mindset betrachtet den Zufall als Störgröße. Man betreibt Risiko-Management, um das Erreichen zuvor festgelegter Ziele abzusichern. Für Vorhaben, die sich schlecht planen lassen, spielt der Zufall jedoch eine entscheidende Rolle: Er hilft dabei, unternehmerische Gelegenheiten zu erzeugen. Zufälle und sogar Rückschläge bringen meist Informationen darüber im Gepäck, was funktionieren könnte. Nach Effectuation gilt also, Zufälle geradezu zu produzieren und daran zu arbeiten, eine gute »Zufallsrendite« zu erzielen.

4. Prinzip der Vereinbarungen und Partnerschaften

Betreibt man seine Vorhaben im Corporate Mindset, so wird schon beim Planen festgelegt, wer die »richtigen« Kunden, Partner, Lieferanten und Mitarbeiter sind. Bei der Umsetzung des Plans hängt der Erfolg davon ab, diese dann tatsächlich an Bord zu bekommen. Unter VUCA-Bedingungen ergibt es jedoch wenig Sinn, Partnerschaften zu planen. Man fährt besser damit, sein Vorhaben gemeinsam mit jenen zu entwickeln, die sich bereits früh beteiligen wollen. Was wirkt, ist also, andere möglichst früh zu seinem Vorhaben einzuladen: »Hier ist mein Vorhaben, was kannst du beitragen?« Diejenigen, die wollen, bringen ihre Mittel ein, bestimmen durch ihre Ambitionen aber auch die weitere Richtung mit.

Was wirkt, hängt vom Kontext ab

Effectuation stellt also das Corporate Mindset auf den Kopf. Im Unternehmen ist das aber bei Weitem nicht für alle Vorhaben sinnvoll. Das laufende Geschäft lässt sich meist ausreichend gut planen. Für kontinuierliche Verbesserungen, inkrementelle Innovationen, Erweiterungsinvestitionen und Make- oder Buy-Entscheidungen ist das Corporate Mindset ebenfalls die bessere Wahl. Um je nach Fragestellung die erwünschte Wirkung zu erzielen, geht es also darum, beide Mindsets im Unternehmen zu ermöglichen und jeweils passend und bewusst einzusetzen.

Was macht Unternehmen unternehmerisch?

Im Sinne von Effectuation unternehmerisch zu wirken, ist gerade in etablierten Unternehmen nicht intuitiv. Wo immer diese nun auf Ungewissheit stoßen, ist daher ein Umdenken und ein Umlernen notwendig. Das beginnt damit, dass Führungskräfte zwischen Planbarem und Ungewissem unterscheiden lernen. Als nächstes kann man Effectuation als Mindset denjenigen im Unternehmen anbieten, die unternehmerisch wirken wollen. Diese Unternehmer im Unternehmen können dann im Rahmen zuvor gesetzter Leitplanken unternehmerische »Schnellboote« starten – etwa zur Bearbeitung businessrelevanter Fragestellungen. Das Management lernt mit, fördert das unternehmerische Mindset und räumt Barrieren aus dem Weg. So entstehen neue Erfahrungen: Die ganze Organisation lernt, was wirkt, wenn Ziele und Pläne versagen.