Es gibt Menschen, die gerade in ungewissen Situationen besonders wirksam sind: erfahrene Entrepreneure. Sie haben sich seit jeher darauf spezialisiert, ins Ungewisse hinein zu handeln und die Welt zu gestalten. Nicht umsonst wird in VUCA-Zeiten (volatile, uncertain, complex, ambiguous) auch in etablierten Unternehmen der Unternehmergeist beschworen. Lernen von Start-Ups, Entrepreneurship und Intrapreneurship sind daher in Mode. „Unternehmerisch denken“ gilt als Schlüsselfähigkeit in nahezu allen Unternehmensbereichen und auf allen Hierarchieebenen. Doch was genau ist das? Was macht erfolgreiche Unternehmer wirkungsvoll? Und wie nutzt man das im etablierten Unternehmen?

Ein Beispiel

Die Zeitungsbranche ist VUCA geworden. Die Erträge aus dem Verkauf sinken, die Werbeeinnahmen wandern zu Google und Facebook und mit Online-Content lässt sich bisher kaum Geld verdienen. Die Trends kann man im Grundschritt „Vorhersage und Planung“ noch so gründlich beobachten und analysieren, die Daten sagen einem nicht, was man als Zeitungshaus nun tun kann. Das Corporate Mindset stößt an seine Grenzen.

In manchen Zeitungshäusern laufen jedoch gerade jetzt unternehmerische Mitarbeiter zur Hochform auf. Sie beginnen bei dem, was bereits verfügbar ist: einem hohen Bekanntheitsgrad, hohen Vertrauenswerten und gute persönliche Beziehungsnetzwerke mit Lesern, Abonnenten und Werbekunden. Sie suchen im Kleinen Kooperationen mit Unternehmen, die sie bereits kennen und entwickeln gemeinsam Dienstleistungen. Sie nutzen die eigene Marke sowie Reputation und organisieren Veranstaltungen. Sie holen Gründer an Bord und entwickeln gemeinsam digitale Vermarktungsformen und neue Geschäftsmodelle. Sie beziehen auch andere Stakeholder mit ein, die ebenfalls mit der Digitalisierung kämpfen und und und … Kurz: Unternehmerische Mitarbeiter schicken viele „Schnellboote“ los und gestalten, ohne dabei Kopf und Kragen zu riskieren. „Nicht zu viel analysieren, stattdessen früh und günstig scheitern“ ist dabei das Motto. Auf traditionelle Managementpraxis wird hingegen erst umgeschaltet, wenn einzelne unternehmerische Schnellboote Neuland entdeckt haben. So begannen zum Beispiel unternehmerische Mitarbeiter bei der ZEIT, mit Vortragenden aus ihrem persönlichen Netzwerk Veranstaltungen zu organisieren. Heute ist die daraus entwickelte ZEIT-Akademie ein tragfähiges Geschäft und wesentlicher Teil der neuen Positionierung.

Erklärbar, lernbar, lehrbar

Um das unternehmerische Mindset jenseits von den gängigen Klischees zu verstehen, muss man sehr erfahrenen Entrepreneuren beim Lösen von Problemen zuhören. Genau das taten Kognitionswissenschaftler wie Professor Saras Sarasvathy von der Darden Business School. Mit Laut-Denk-Experimenten hat Sarasvathy Prinzipien entschlüsselt, die jeder lernen kann. Sie prägte den Begriff „Effectuation“ (von lat. effectus = Wirksamkeit) als Fachbegriff für eine Logik unternehmerischen Denkens und Handelns. Was Effectuation gerade für bestehende Unternehmen so spannend macht: Das unternehmerische Mindset wirkt, wenn das Umfeld unsicher ist und exakte Vorhersage oder Planung nicht möglich sind.

Was macht den Unterschied?

So sehen Entrepreneure die Welt: „Ich kann die Zukunft zwar nicht vorhersagen, trotzdem kann ich sie formen und gestalten.“ Wie genau sie formen und gestalten, wenn keine gute Grundlage für Vorhersage und Planung besteht, beschreiben die vier Effectuation-Prinzipien. Doch Vorsicht! Die Prinzipien stellen in Frage, was gemäß eines Corporate Mindset auf Basis traditioneller Managementpraxis als professionell angesehen wird:

1.      Prinzip der Mittelorientierung

Laut Corporate Mindset gilt: Setze klare Ziele und suche dann nach Mittel und Wegen, um die Ziele rasch, günstig und sicher zu erreichen. Doch was sind die passenden Ziele, wenn Situationen volatil, mehrdeutig und noch ungewiss sind? „Unternehmen“ beginnt daher bei den verfügbaren Mitteln. Erfahrene Unternehmer fragen sich „Wer bin ich, was weiß ich und wen kenne ich? Und was kann ich daraus machen?“ Daraus ergeben sich mehrere machbare Alternativen auf deren Basis sie ins Ungewisse hinein handeln können.

2.      Prinzip des leistbaren Verlusts

In Unternehmen werden oft nur diejenigen Vorhaben gestartet, die bereits am Papier einen guten Ertrag versprechen. Nun lassen sich im VUCA-Kontext erwartete Erträge oft nicht hinreichend abschätzen, da deren Realisierung eben ungewiss ist. Zu komplex ist das Umfeld und zu sehr ist man vom zukünftigen Verhalten anderer Akteure abhängig. Das unternehmerische Mindset orientiert sich daher am leistbaren Verlust: Überlegen, was man für ein Vorhaben aufs Spiel setzen möchte – ganz egal wie es ausgeht. So kann man sich ins Ungewisse vortasten und damit Gelegenheiten erschaffen, die anfangs gar nicht sichtbar waren: Amerika wäre nicht entdeckt worden, hätten sich nicht wagemutige Menschen auf den ungewissen Weg nach Indien gemacht …

3.      Prinzip der Umstände und Zufälle

Das Corporate Mindset betrachtet den Zufall als Störgröße. Man betreibt Risiko-Management, um das Erreichen zuvor festgelegter Ziele abzusichern. Für Vorhaben, die sich schlecht planen lassen, spielt der Zufall jedoch eine wichtige Rolle: Er hilft dabei, unternehmerische Gelegenheiten zu erzeugen. Zufälle und sogar Rückschläge haben meist Informationen darüber im Gepäck, was funktionieren könnte. Nach Effectuation gilt also, Zufälle geradewegs zu produzieren und daran zu arbeiten, eine gute „Zufallsrendite“ zu erzielen.

4.      Prinzip der Vereinbarungen und Partnerschaften

Nach Corporate Mindset wird schon beim Planen eines Vorhabens festgelegt, wer die „richtigen“ Kunden, Partner, Lieferanten und Mitarbeiter sind. Bei der Umsetzung des Plans hängt der Erfolg davon ab, diese dann tatsächlich an Bord holen zu können. Unter VUCA-Bedingungen ergibt es wenig Sinn, Partnerschaften zu planen. Man fährt besser damit, sein Vorhaben gemeinsam mit jenen zu entwickeln, die sich bereits früh beteiligen wollen. Was wirkt ist also, andere möglichst früh in sein Vorhaben einzuladen: Hier ist mein Vorhaben, was kannst du beitragen? Diejenigen, die wollen, bringen ihre Mittel ein, bestimmen durch ihre Ambitionen aber auch die weitere Richtung mit.

Was wirkt, hängt vom Kontext ab

Effectuation stellt das Corporate Mindset auf den Kopf. Im Unternehmen ist das aber bei weitem nicht für alle Vorhaben sinnvoll. Das laufende Geschäft lässt sich meist ausreichend gut planen. Für kontinuierliche Verbesserungen, inkrementelle Innovationen, Erweiterungsinvestitionen und Make- oder Buy-Entscheidungen ist das Corporate Mindset ebenfalls die bessere Wahl. Die Herausforderungen der VUCA-Welt durch Innovationsdruck, Digitalisierung, neue Geschäftsmodelle und dergleichen lassen sich eher aus unternehmerischer Haltung heraus bewältigen. Um je nach Fragestellung die erwünschte Wirkung zu erzielen, geht es also darum, beide Mindsets im Unternehmen zu ermöglichen und jeweils passend und bewusst einzusetzen.

Was macht das Unternehmen unternehmerisch?

Im Sinne von Effectuation unternehmerisch zu wirken, ist gerade in etablierten Organisationen nicht intuitiv. Wo immer wir auf Ungewissheit stoßen, ist daher umdenken und umlernen notwendig. Das beginnt damit, dass Führungskräfte zwischen Planbarem und Ungewissem unterscheiden lernen. Als Nächstes kann man Effectuation als Mindset denjenigen im Unternehmen anbieten, die unternehmerisch wirken wollen. Diese Unternehmer im Unternehmen können dann im Rahmen zuvor gesetzter Leitplanken unternehmerische „Schnellboote“ starten – etwa zur Bearbeitung aktueller businessrelevanter Fragestellungen. Das Management lernt mit, fördert das unternehmerische Mindset sowie eine unternehmerische Kultur und räumt Barrieren aus dem Weg. So entstehen neue Erfahrungen: Die ganze Organisation lernt, was wirkt, wenn Ziele und Pläne versagen.