Agile(re) Organisationen Back to overview Eva Grieshuber Beraterin Contact Eva Franz Schwarenthorer Managing Partner Contact Franz Die Wirtschaft befindet sich in einem der dramatischsten Wandel der letzten 100 Jahre. Beinahe über Nacht werden ganze Branchen disruptiert. Gleichzeitig haben Mitarbeiter das Gefühl, ihr Potenzial nicht voll einbringen zu können und gehen in innere Kündigung. Waren zu Beginn die Antworten auf diese Komplexität noch mehr Planung, Kontrolle und Effizienzsteigerung, so mehren sich heute die Aussagen von Managern in Richtung: »Wir müssen schneller, innovativer und weniger bürokratisch werden!« »Agil« scheint das Erfolgsrezept der Stunde zu sein. Verstanden wird darunter: iteratives Vorgehen in kleinen und kurz getakteten Schritten, rasches Feedback und Lernen, mehr Transparenz über Leistung und Erfolge, ein höheres Ausmaß an Autonomie und stärkere Kundennähe. Damit wird starrer Planung, zentraler Steuerung, langen Entwicklungs- und Einführungszyklen sowie traditioneller Hierarchie eine klare Absage erteilt. Wie so oft erheben sich auch jetzt schon kritische Stimmen, die meinen, dass der Hype um Agilität bald wieder vorbei sein wird. Auch wir sind nicht vorbehaltlos euphorisch – »agil« ist sicher nicht das Erfolgsrezept gegen jedes Problem. gleichzeitig sehen wir die derzeitigen Entwicklungen als große Chance für viele Organisationen, ihre verkrusteten Strukturen aufzubrechen und zeitgemäße Formen der Zusammenarbeit zu finden. Mehr als Methoden Wir sprechen bewusst von agileren statt agilen Organisationen, weil Agilität ein kontinuierlicher Prozess und das Ziel nicht einfach durch das Anwenden agiler Methoden erreicht ist. Agile Methoden sind zwar durchaus wichtig, um agiles Arbeiten und Mindset zu lernen und zu verankern. Darüber hinaus sind jedoch einige weitere Elemente zentral, um als Organisation wirklich zukunftsfähig zu sein. In unserer Arbeit mit verschiedensten Organisationen und im Dialog mit Führungskräften sind wir immer wieder auf diese sieben Elemente gestoßen. Sie stehen in Wechselwirkung zueinander – so etwa ist ein starker, gemeinsamer Purpose zentrales Element für ein hohes Ausmaß an Selbststeuerung. Um wirksam zu werden, müssen nicht alle Elemente gleich stark ausgereift sein, aber – wie bei einer Multiplikation, wenn das Produkt nicht 0 sein soll – in einem Mindestmaß vorliegen. STARKER PURPOSE Der Purpose beantwortet die Fragen »Wozu gibt es uns? Was ist unser Beitrag für die Gesellschaft?« Mehr Sinnorientierung wird immer wichtiger. Ein Grund ist etwa, dass der Umgang mit steigender Komplexität mehr Autonomie bei Mitarbeitern und Teams erfordert. Damit dies funktioniert und Entscheidungen rasch und eigenständig getroffen werden können, ist ein klarer Rahmen nötig. Die handlungsleitende Frage ist: Wie gelingt es am besten, den Purpose zu erfüllen? Zudem ist es Mitarbeitern immer wichtiger, das Gefühl zu haben, sinnstiftende Arbeit zu tun und damit in Organisationen zu arbeiten, die einen für sie attraktiven Purpose haben. Ergänzend bilden Werte und einige wenige handlungsleitende Prinzipien weitere Orientierungspunkte. Entscheidend ist, dass diese gekannt, verstanden und gelebt werden. Gemeinsame Bearbeitung und immer wieder Bezugnahme darauf, ist dafür essenziell. Wichtige Werte im agilen Umfeld sind Vertrauen, Transparenz, Verantwortung oder auch das grundsätzliche Zutrauen in die Kompetenz und den Leistungswillen von Menschen. Beispiele für Purpose – IDEO: »We create positive impact through design.« – Google: »Organize the world‘s information and make it universally useful and accessible.« – Singularity University: »We want to make a better living for one billion people.« FLEXIBLE ORGANISATION Eine traditionelle Hierarchie mit ihren eindeutigen Zuordnungen von Mitarbeitern wird zukünftig zu starr und nicht ausreichend sein. Zentrales Element zukunftsfähiger Organisationen sind performante, selbstgesteuerte Teams als die »kleinsten Bausteine«. Organisationen werden stärker als heute noch aus fl exibel zusammengestellten und wieder auflösbaren Teams bestehen. Die Teams verfügen aufgrund gemeinsam definierter Rollen über klare Verantwortlichkeiten und können im Rahmen des Purpose bzw. ihrer Ziele selbsttätig Entscheidungen treffen. Statt starrer Stellenbeschreibungen, die eher auf Tätigkeitsbeschreibungen abzielen, ist es für agile Organisationen wirksamer, (anlassbezogene) Rollen zu definieren, wobei jeder Mitarbeiter nach Fähigkeiten und Interessen mehrere Rollen – durchaus in unterschiedlichen Teams – wahrnehmen kann. Je nach Organisation wird die klassische Hierarchie entweder noch lange die primäre Heimat von Mitarbeitern sein und cross-funktionale Teams werden für Innovations- und Zukunftsthemen als »Schwarmorganisation«, wie es zum Beispiel Daimler gerade etabliert, oder Teil eines »zweiten Betriebssystems«, wie es etwa Kotter beschreibt, gebildet. Oder das Unternehmen besteht bald ausschließlich aus selbstgesteuerten Teams mit Shared Leadership – wie dies zum Beispiel Buurtzorg vorlebt. Teamentwicklung und hohes Augenmerk auf Erfolgsfaktoren für »high performing teams« – beispielsweise emotionale und soziale Sicherheit im Team – gewinnen also (wieder) große Bedeutung. KOMMUNIZIEREN & ENTSCHEIDEN Damit selbstorganisierte Teams ihre Ziele erreichen können, ist es nötig, dass sich die Mitglieder laufend austauschen. Quantitativ betrachtet gibt es in agileren Organisationen meist mehr Meetings als in traditionellen Hierarchien, daher ist es umso wichtiger, diese möglichst effizient zu gestalten. Ein gutes Beispiel dafür ist das »Daily Stand-up-Meeting«, das nur maximal 15 Minuten dauert. Darin berichtet jedes Teammitglied kurz: »Was habe ich erledigt? Was plane ich heute? Was brauche ich?« Auch beim wöchentlichen Meeting wird darauf geachtet, dass es nicht länger als 60 bis 90 Minuten dauert. Ziele dieser Meetings sind vor allem das Transparentmachen von Kennzahlen, Projektständen und die Abstimmung zu operativen Themen. Es ist empfehlenswert, zusätzlich monatlich ein »Governance Meeting« durchzuführen, in dem die Rollen und Regeln hinterfragt und weiterentwickelt werden. Damit gelingt es der Organisation, sich rasch an geänderte Bedingungen anzupassen. Versucht man traditionell meist aufwendige Konsensentscheidungen herbeizuführen, so wird agil gerne der konsultative Einzelentscheid angewendet, bei dem Rollenverantwortliche sich mit Betroffenen austauschen müssen, bevor sie eigenverantwortlich entscheiden. In Meetings wird häufig auch Konsententscheidung oder die integrative Entscheidungsfindung praktiziert, bei der ein Vorschlag nur dann nicht akzeptiert wird, wenn berechtigte Einwände vorgebracht werden. Was agilere von traditionellen Organisationen unterscheidet, ist, dass sie unterschiedliche Entscheidungsmethoden passend anwenden können. SHARED LEADERSHIP Die Rolle von Führungspersonen ist in stärker selbstgesteuerten Organisationen grundsätzlich anders. Entscheidungen werden nicht mehr allein durch Chefs getroffen, sondern durch Teams oder Rollenverantwortliche. Dies hat vielfältige Konsequenzen. Nicht nur für Führungskräfte, die sich weg vom hierarchischen Führungsverständnis bewegen und sich stattdessen stärker hin zum »Rahmen setzen, Impulse geben, Kollegen und Team coachen« entwickeln müssen, sondern auch für Teams ist dies eine echte Herausforderung. Denn gemeinsam einen neuen Teamkollegen auszuwählen, gegebenenfalls aber auch hartes Feedback zu geben oder gar die Zusammenarbeit zu beenden, ist schwieriger, als sich bei Vorgesetzten zu beschweren, dass er oder sie nicht gut in die Rolle wächst oder schlicht nicht passt. In einer Übergangsphase ist die Führungskraft gefordert, glaubhaft Verantwortung an das Team abzugeben. Denn nur durch geteilte und gemeinsame Führung entfalten die anderen sechs Elemente für agilere Organisationen ihre Wirkung. Zudem wird die Organisation schneller, wenn so manche Entscheidung nicht mehr vom »Bottleneck Chef« abhängt. Sobald diese Form der Führung etabliert ist, gelingt eine viel stärkere Verantwortungsübernahme und die Nutzung der Potenziale aller; da Peer-Feedback wirkungsvoller sein kann als Feedback durch Vorgesetzte. Damit diese Form von Führung gelingt, ist »Selbst-Führung« eine wichtige Voraussetzung. Dies umfasst unter anderem Bewusstsein sowie Reflexion der eigenen Rolle und Wirkung, aber auch zur eigenen Wirksamkeit. BEWUSSTE AMBIDEXTRIE Ambidextrie bedeutet »Beidhändigkeit«. Auf Organisationen übertragen heißt das »sowohl als auch«: sowohl Effizienz- als auch Innovationsorientierung zu verfolgen. Sowohl im klassischen Management-Modus als auch im Effectuation-Modus oder sowohl im Umsetzer-Modus als auch im Entdecker-Modus arbeiten zu können. Also, »umsetzen und effizient sein«, aber auch »entdecken und erneuern, Möglichkeiten nutzen, iterativ vorgehen « zu können. In den seltensten Fällen sind bei Menschen beide Seiten gleich stark ausgeprägt. Es gilt daher, beide Formen über Rollen und Prozesse abzubilden, idealerweise unterstützt durch entsprechende räumliche Gestaltung (etwa klassischer Meetingraum versus Innovation-Lab). Klassisches Management versus Effectuation – Der klassische Managementmodus ist geprägt davon, Ziele genau zu definieren, sowohl den Weg, diese zu erreichen, als auch das Budget dafür zu planen sowie deren Umsetzung zu kontrollieren und zu steuern. – Effectuation-Modus: Basierend auf der Grundannahme, dass die Zukunft nur bedingt vorherseh- und planbar ist, wird mit den jeweils verfügbaren Mitteln – nach dem Prinzip des verkraftbaren Verlusts – und mit Partnern eine gemeinsame Ambition realisiert. TRANSPARENZ & LERNEN Wird in traditionellen Unternehmen mit Information oft sehr spärlich umgegangen, so ist Transparenz in agileren Organisationen zentral. Transparenz hat dabei mehrere Aspekte. Einer ist der vollkommen offene Umgang mit Informationen, ohne zu selektieren, wer welche Information braucht. Ein weiterer bezieht sich auf die sehr zeitnahe Information über den Stand der Zielerreichung aller Ebenen: Gesamtorganisation, Team, Individuum. Innerhalb von Teams muss transparent sein, wo jeder beziehungsweise das gesamte Team in Bezug auf die Zielerreichung (Messgrößen, Projekte, Aktionen) steht. Gemeinsame Steuerung, Reflexion und Lernen haben einen besonderen Stellenwert. Dritter und zentraler Aspekt von Transparenz ist daher Feedback: sowohl institutionalisiertes, das heißt regelmäßig und strukturiert, als auch im Sinne einer ausgeprägten Feedback-Kultur im täglichen Berufsleben. Das braucht die Fähigkeit und den Willen, Feedback zu geben und anzunehmen, was zentral für die Weiterentwicklung ist. Transparenz und Lernen konsequent zu betreiben, hat also mehrere Aspekte: Es sind eine passende Haltung und ein Mindset nötig, aber auch entsprechende Tools und Methoden-Know-how. Hier bieten agile Methoden und Arbeitsweisen (wie etwa Scrum oder Kanban) gute Ansatzpunkte. DYNAMISCHE KOPPLUNG MIT KUNDEN Möglichst viel, unmittelbarer und regelmäßiger Kundenkontakt ist essenziell, wenn Organisationen agil bleiben oder agiler werden möchten. Es geht darum, Kundenanforderungen und -feedback zeitnah sowie systematisch zu erfassen und zu verstehen. Kundenbedürfnisse und -erfahrungen sind der Startpunkt für Innovation und (Weiter-)entwicklung der Leistungen, aber auch für das Ausrichten effektiver und effizienter Prozesse. Das muss institutionalisiert erfolgen, etwa durch systematisches Auswerten von Kundenkontakten oder »walk in the customer‘s shoes«, das heißt, Mitarbeiter nehmen die Rolle von Kunden ein und durchlaufen alle Touchpoints aus deren Sicht. Bewusste und organisierte Kundeneinbindung kann auch bereits früh in der Ideenentwicklung starten oder beim strukturierten Testen von Prototypen erfolgen – in der Softwareentwicklung ist dies schon lange üblich. Ebenso systematisch wird Kundenkopplung in den verschiedenen agilen Methoden durchgeführt. Nicht zuletzt: Enge Kundenbeziehung heißt auch unbürokratisches und lösungsorientiertes Agieren im Kundenkontakt. Wichtige Voraussetzung dafür: Mitarbeiter haben Entscheidungsfreiheit und Pouvoir – und müssen sich nicht hinter Richtlinien verstecken. Den Weg beschreiten In unseren Projekten hat es sich bewährt, Organisationen anhand dieser sieben Elemente zu analysieren (»Wo stehen wir diesbezüglich derzeit?«) und eine Entwicklungsrichtung festzulegen (»Was wäre eine passende Ausprägung dieser Elemente für uns?«). Anschließend kann dann – unter Anwendung der zentralen Prinzipien agiler(er) Organisationen – der Weg in Richtung mehr Agilität beschritten werden. 6 Agilität Der gesamte Artikel als PDF zum Nachlesen Download Auf den Geschmack gekommen? Melden Sie sich zum Newsletter an! Newsletter Wie agil ist Ihre Organisation? Kontakt