6 Blockaden – 6 Lösungen aus der Praxis:
Wenn ein digitaler Transformationsprozess ins Stocken kommt, gibt es dafür unterschiedlichste Gründe. Wer die Blockaden erfolgreich auflösen oder gar im Vorfeld vermeiden will, muss nicht nur die Technologie verstehen, sondern vor allem auch die Menschen.

In der Regel unterscheidet sich eine digitale Transformation wesentlich von einem klassischen Veränderungsprozess. Sie ist umfassender und soll meist auch schneller zum gewünschten Ergebnis führen. Unterschiedliche Treiber treffen aus allen Richtungen aufeinander: Neue, komplexe Technologien, neue Kundenerwartungen und der gesellschaftliche Wandel insgesamt spielen eine wesentliche Rolle.

Führungskräfte, Projektleitende und Beratende, die für einen erfolgreichen Transformationsprozess verantwortlich zeichnen, benötigen eine besondere Kompetenz im Erkennen, im Lösen und im Nutzen möglicher Widerstände. Für diesen Artikel haben wir Ihnen tatsächlich erlebte Blockaden, aber auch bewährte Lösungen zusammengestellt.

1. Das bringt alles nichts!

Verstehen Menschen das „Warum“ nicht ausreichend, werden sie leicht bockig und zu übermäßiger Skepsis verleitet. Sie vermuten schnell, dass sie übervorteilt werden oder wittern dunkle Machenschaften hinter einer notwendigen Veränderung. Ein Beispiel aus der Praxis: Das papierbasierende Antragssystem einer Verwaltungsorganisation für ein Kundenprodukt soll auf eine Online-Lösung umgestellt werden. Im Lauf des Prozesses entwickelt sich ein tiefer Konflikt zwischen der inhaltlich verantwortlichen Abteilungsleiterin für den Kundenservice, dem IT-Verantwortlichen und dem externen IT-Partner. Der Geschäftsführer ist über Monate gefordert dieses Minenfeld zu entschärfen und die Projektbeteiligten in Bewegung zu halten. Der Konflikt vertieft sich, sodass eine externe Beratung das Projekt auf neue Beine stellen soll.

Bei der ersten Betrachtung wird klar, dass die Blockade bereits von einer sachlichen auf eine persönliche Ebene gewechselt hat. Wie ist das passiert? Der Impuls zur Online-Umstellung geht vom IT Leiter aus. Obwohl die Digitalisierung grundsätzlich als richtige und wichtige Lösung in der Organisation angenommen wird, bleibt das „Warum“ für die betroffenen Abteilungen unklar. Als Folge unterstellen diese dem IT-Leiter Naheverhältnis und Bevorteilung der eingebundenen IT-Firma. Im Gegenzug werden alle, die Fragen zum Nutzen der Umstellung äußern, als Verhindernde bezeichnet.

Lösung: Nutzenanalyse

Diese erheblichen Konflikte müssen zuerst aufgelöst werden. Eine gemeinsame Nutzenanalyse aus Sicht der wesentlichen Stakeholder versachlicht die Situation und zeigt, welche Verbesserungen für KundInnen entstehen und welche Einsparungspotentiale für die Organisation selbst in der Umstellung stecken. So wird sichtbar gemacht, was das Projekt überhaupt bringt.

2. Das ist ja wohl klar!

Einer der beliebtesten Fehler überhaupt. Die Vorteile der Umstellung für KundInnen und für die eigene Organisation wird zu Projektbeginn als „klar“ und „selbstverständlich“ angenommen und nicht thematisiert. Es bleibt unberücksichtigt, dass viele Ängste bei den Betroffenen ausgelöst werden können. Die Gründe dafür sind mögliche tiefgreifende Veränderungen der Aufgaben selbst, neue Sozialgefüge innerhalb wie außerhalb der Organisation oder neue, noch zu erwerbenden IT-Fähigkeiten. Eine  Analyse zeigt, wie berechtigt die Vermutungen tatsächlich sind. Sie illustriert, dass für die Abteilung selbst der Nutzen aus der Umstellung am geringsten ist, während der Aufwand am höchsten ist. Um dieses Problem zu lösen muss an der Struktur der Abteilung selbst gearbeitet werden.

Lösung: Product Owner

Der Abteilungsleiterin wird ein junger, IT-affiner Assistent zur Seite gestellt, der jetzt die Rolle des Product Owners im Projekt übernimmt. Eine seiner Aufgaben als Produktverantwortlicher ist es, regelmäßig Rücksprache mit allen Stakeholdern zu führen und die unterschiedlichen Bedürfnisse und Wünsche zu verstehen. Seine Gewichtung der unterschiedlichen Interessen und Anforderungen bringt das Projekt wunschgemäß weiter. Weiters werden gemeinsam mit der Abteilungsleitung die künftigen Aufgaben und Anforderungen der Abteilung geschärft. Im Zuge der Entwicklung zeigt sich eine ausgeprägte IT-Lastigkeit für die Leitungsfunktion und der Bedarf an entsprechendem Coaching für die Leiterin.

3. Ich versteh das alles nicht!

Unruhe wird oft dadurch ausgelöst, dass Menschen unzureichende Informationen über den Gesamtprozess oder einzelne Veränderungen bekommen. Transparenz sorgt dafür, dass sich niemand ausgeschlossen fühlt und immer weiß was warum und wann passiert. Zusätzlich wird damit auch deutlich, wer woran teilnimmt und worüber entschieden wird. Nehmen wir wieder unseren Papierantrag der künftig online abgewickelt wird. Obwohl die Umstellung primär IT und Fachabteilung betreffen, erfährt die Buchhaltung via Flurfunk von einer geplanten Änderung der Zahlung von Erlagschein auf SEPA-Überweisung. Ungesteuerte Informationen ziehen immer weitere Kreise. Und plötzlich bekommt eine unvorbereitete Marketing-Abteilung Anfragen von irritierten Netzwerkpartnern, die bisher die Papieranträge übernommen haben und sich jetzt Aufklärung wünschen. Damit sich nicht alle in Details verlieren, braucht es eine gelungene Change-Story.

Lösung: Change Story

Als wirksamstes Instrument für eine stringente Kommunikation schafft sie auf emotionale Weise Verständnis für Veränderung. Die wesentlichen Elemente werden mit allen leitenden MitarbeiterInnen diskutiert. Als Ergebnis entsteht das gemeinsame Zukunftsbild mit Online-Schwerpunkt, einem der Erfolgsfaktoren für den Prozess. Aus diesem „Big Picture“ leiten sich die Auswirkungen auf die Organisation und die relevanten Änderungen für alle Abteilungen ab. Der Projektplan wird damit verständlich und greifbar. Und auf Herausforderungen kann besser reagiert werden. So werden die Vorbehalte der Buchhaltungsabteilung gegenüber der geplanten SEPA-Zahlung berücksichtigt und der Prozess entsprechend adaptiert. Für die externen Partner wird klar, dass sich der nötige Beitrag auf ein Minimum beschränkt und den Administrationsaufwand erheblich reduziert.

4. Das betrifft mich alles nicht!

Mangelnde Identifikation mit einem Projekt ist oft auf eine nicht ausreichende Beteiligung zurückzuführen. In diesem Fall wurde der Prozess stark von den technischen Fragen der externen IT-Partner dominiert. Für die IT-Abteilung eine willkommene Gesprächsdynamik, sie kann ihre Expertise ausspielen. Die Fachabteilung selbst sitzt mit zunehmender Verwirrung in den Meetings und kann immer weniger folgen. Zeitdruck lässt immer weniger Reflexion über den Gesamtprozess zu. Diskussionen zu Einzelproblemen und Detaillösungen nehmen zu. Die Konflikte zwischen allen Projektbeteiligten steigen.

Lösung: Projekt Office

Der neu eingerichtete Projektraum sorgt für Transparenz bei den Sub-Projekten und beim Zeitplan. Als der Entwicklungsplan gemeinsam im Detail diskutiert wird, zeigt sich, dass wesentliche Milestones aufgrund von Urlaub und fehlender Ressourcen bei den IT-Partnern nicht erfüllt werden können. Diese Transparenz über Fakten entlastet das System zunehmend. Die Einführung und Schulung im Umgang mit zielführenden Kollaborationstools (MS Teams, Slack, Trello, Google Docs) erhöhen die Performance und führen zu weiterer Transparenz.

5. Das wird unser Untergang!

Ängste kommen bei einem derartigen Projekt meist aus den unterschiedlichsten Richtungen. Der drohende Verlust von Macht und Einfluss schweben wie ein Damokles-Schwert über den Beteiligten. Als Reizwort im Projekt konnte in unserem Fall „Online“ identifiziert werden. Damit war für die IT-Abteilung der Startschuss ertönt, alles muss künftig online sein, der Papierantrag sollte das erste große Umstellungsprojekt sein. Dahinter stand eine große Vision, allerdings mit wenig konkreter Substanz und noch wenig Vorstellung über den Umstellungsaufwand. Die Geschäftsführung vertraute der IT aufgrund der bisherigen Erfolge und nahm die aufkeimenden Konflikte wegen der starken Innovationskraft der IT in Kauf. Für die Fachabteilung war „Online“ eine einzige Bedrohung. Damit wurde der etablierte Kernprozess einer Schlüsselabteilung mit hoher Außenwirkung in Frage gestellt. Druckerei, ein regionales Netzwerk sowie ein Pool an internen Ressourcen und externen Hilfskräften wird seit Jahren genutzt, der Ablauf immer weiter optimiert. Einzelne Aktivitäten sind zwar IT-gestützt, der Gesamtprozess ist aber von Medien- und Systembrüchen gekennzeichnet. Selbst die Fehlersuche ist als Qualitätsprozess integriert. Dass der Prozess als Ganzes aufgeblasen und fehleranfällig ist, wird intern schon lange nicht mehr wahrgenommen. Mit der Identifikation der Ängste vor Machtverlust und dem Online-Prozess nicht gewachsen zu sein, wird die zentrale Blockaden in der Abteilung offenkundig.

Lösung: Zuständigkeiten vereinbaren

Um die Bedrohung zu entschärfen, dass die IT-Abteilung zu stark in diesen Bereich hineinregiert entwickeln Geschäftsführung, IT-Abteilung und Fachabteilungsleiterin ein gemeinsames Bild. Es zeigt, welche Auswirkungen Online tatsächlich mit sich bringt und wer welche Rollen und Aufgaben in einem Online-Prozess übernehmen wird. Gemeinsam mit der Geschäftsführung entwickeln wir Nutzen- und Risikoprofile der Digitalisierung für die zentralen Rollen im Unternehmen. Auf dieser Basis kann die Geschäftsleitung die Veränderungen in Einzelgesprächen diskutieren und den Prozess mit ausreichendem Digital-Coaching unterstützen.

6. Das ist Verrat am Kunden!

Für viele in der Organisation ist der neue Onlineantrag noch mit einem zusätzlichen relevanten Paradigmenwechsel verbunden. Durch den Verlust des persönlichen Kontakts sehen sie zentrale Werte und die kundenorientierte Unternehmenskultur bedroht. Die richtige Produktwahl, Fragen oder Unsicherheiten beim Ausfüllen konnten bisher schnell in einem persönlichen Gespräch geklärt werden. Lässt sich dieser Wert auch durch FAQs, mit einem Bot und einem Call-Center aufrechterhalten? Durch diese Betrachtung bekommt „Online“ plötzlich eine sehr negative Komponente, nämlich sparen auf dem Rücken der KundInnen. Für einen gelungenen Transformationsprozess ist es notwendig, auf einer tieferen Ebene anzusetzen. In den direkten Gesprächen signalisieren die Menschen mit den oben genannten Ängsten durchaus ihre eigene Affinität zu Online-Diensten. Sie kaufen gerne online ein, lesen ihre Zeitungen online und nutzen viele spezielle Serviceangebote im Internet. Wie können wir es schaffen, dass sich die Menschen diese Vorteile auch für das eigene Angebot vorstellen können?

Lösung: Kunden einbeziehen

Eine kurze Kundenumfrage zeigt schnell und eindeutig, dass sich 80% der Zielgruppe ein Online-Angebot wünschen und macht den Weg frei für den Umstellungsprozess. Gleichzeitig nutzt das Unternehmen die Anregungen aus der Diskussion für eine strukturelle Verbesserung. Das Call-Center wird ausgebaut und mit mehr Kompetenz ausgestattet, um die Kunden möglichst unmittelbar unterstützen zu können. Als Kundencenter fungiert es als zentrale Drehscheibe und persönliche Schnittstelle für alle Anliegen.

Das umfangreiche Projekt zeigt deutlich, dass bei jedem digitalen Transformationsprozess Unklarheiten, Unsicherheiten  und Ängste wahre Innovationshemmnisse bilden können. Die gute Nachricht: Jede Blockade ist Teil der Lösung und kann gelöst werden.

Sie fühlen sich mit den oben genannten Beispielen an Situationen aus Ihrem Alltag erinnert? Wir erläutern Ihnen gerne in einem persönlichen Gespräch, wie Sie Hindernisse bewältigen können.

Picture Source: Randy Fath, unsplash