Die klassischen, strategischen Planungsrituale kommen immer mehr an die Grenzen, können oft nicht die erhoffte Orientierung und die Antworten auf aktuelle Fragen der Ausrichtung geben. Innovative und agile Elemente im Strategieprozess bieten auch Antworten auf veränderte Spielregeln.

Veränderte Herausforderungen

Unternehmen stehen immer öfter vor neuen, unbekannten Komplikationen. Neue Technologien, digitale Geschäftsmodelle, Veränderungen in den globalen
Machtverhältnissen oder zuletzt die Coronakrise fordern vermehrt heraus. Entscheider in Unternehmen können sich dabei immer weniger auf gesicherte Fakten stützen. Daher müssen sie bewährte Wege der Strategieentwicklung anpassen und sie agiler machen.

Neue Spielregeln in der Strategiearbeit

In Krisenzeiten mit großer Unsicherheit wie in der aktuellen Situation wünschen sich viele Führungskräfte mehr Klarheit. Gefragt sind verlässliche Analysen, Konzepte und Maßnahmenpläne. Ist das in der aktuellen Situation mit großer Unsicherheit überhaupt möglich? Diese Frage beschäftigt viele, die für strategische Arbeit verantwortlich sind, und ist natürlich berechtigt. Strategieentwicklung unter Unsicherheit ist wichtig, benötigt jedoch andere Zugänge als in stabilen Phasen (siehe Grafik).

Strategie als Leitplanken und Rahmen

Am Beginn des Strategieprozesses soll die Frage stehen: Was sind die Erwartungen an das Ergebnis? Bei klarer Sicht, also wenn man die relevanten Entwicklungen gut vorhersehen kann, ist es weiter möglich, sich an einem Zukunftsbild zu orientieren und den strategischen Weg dorthin zu definieren. Bei dichtem Nebel, also Unsicherheit beziehungsweise Widersprüchlichkeit der Entwicklung, kann die Strategie eine grobe Richtung und Leitplanken bieten, unterstützt durch gemeinsam getragene Prinzipien und Werte. Innerhalb dieses Rahmens werden in kleinen Schritten Möglichkeiten, Chancen und Risiken identifiziert, agiert, reflektiert und die nächsten Schritte geplant.

Strategische Ambidextrie und Raum für Experimente

Strategie muss konsistent und widerspruchsfrei sein! So steht es in vielen gar nicht so alten Lehrbüchern. Dahinter steht die Annahme, dass es nur eine Wirklichkeit gibt – und wir diese kennen. Von diesem Paradigma müssen wir uns immer öfter verabschieden und statt dessen den gleichzeitigen und unterschiedlichen Umgang mit planbaren und unsicheren Themen erlernen. Dafür gibt es die Bezeichnung »strategische Ambidextrie«. Dies führt zu einem professionellen Umgang mit Widersprüchlichkeit. Bei unsicheren Themen wird in leistbarem Verlust gedacht. Es werden Experimente zugelassen und über Erfahrungen ausgewertet und gelernt. So können Schnellboote in unterschiedliche Richtungen gestartet werden, um so rasch den besseren Weg zu erkennen. Das Grundverständnis für strategische Ambidextrie kann auch den oft beobachteten Widerspruch auflösen: Einerseits wird ein detaillierter strategischer Fünf-Jahresplan verlangt – andererseits ist es unklar, wie unsere Welt in einem halben Jahr aussieht. Weiters werden Mitarbeiter enger in die Strategiearbeit eingebunden und unternehmerische Kultur gefördert. Damit können Chancen rascher aufgegriffen werden und eine breitere Mitarbeiterbasis wird in strategische Entwicklungen involviert.

Intensive Kunden- und Marktankopplung

Oft beginnt ein Strategieprozess mit sorgfältiger Analyse der Zahlen und Daten zur Marktentwicklung der letzten Jahre, um daraus die zukünftigen Trends abzuschätzen. Bei stabilen Entwicklungen ist das auch durchaus sinnvoll. Trendbrüche und andere VUCA Effekte sind aber mit dem Analyseblick in den Rückspiegel nicht zu erkennen. In die Strategiearbeit wird die Markt- und Kundensicht intensiv von Beginn an integriert. Dies gelingt mit Beobachten von Kunden und Anwendern, geht über Prototyping und rasches Feedback zu Ideen bis zur Integration von Kunden in die Entwicklungen. So soll auch das Aufspüren von blinden Flecken sowie schwachen Signalen völlig neuer, disruptiver Veränderungen gelingen.

Rasch ins Tun kommen und die Strategie leben

Die Strategie lebt vom Tun – und dafür sind die richtigen Umsetzungsformen zu wählen. Das kann in Form der klassischen, strategischen Projekte erfolgen, die in größeren Abständen von Steering-Teams begleitet werden. Alternativ oder ergänzend kann man mit agilen Umsetzungsformaten wie Schnellbooten oder Rapid Results Teams rasch Erfolge erzielen. Hier gilt es, die intrinsische, unternehmerische Energie im Unternehmen zu fördern. Dies gelingt mit guter Aufmerksamkeit des Managements, dem temporären Beseitigen hinderlicher Regeln und einer unterstützenden Fehlerkultur in der Logik von Minimal Viable Products. Auf Basis des strategischen Rahmens werden diese Initiativen und Schnellboote aufgesetzt und durch agile Methoden und Rituale im Tagesgeschäft verankert. So gelingt es, die Aufmerksamkeit zu erhöhen und die Umsetzungsgeschwindigkeit zu steigern.

Laufend auswerten, nachschärfen und lernen

Entscheidend sind nicht perfekte Pläne, sondern Umsetzungserfahrungen, die das Laufende auswerten und nachschärfen. Ein besonders wirksames agiles
Instrument dafür ist die OKR-Methode. Dabei werden messbare Ziele (Objectives) für einen bestimmten Zeitraum (meistens drei Monate) definiert. Diesen Zielen werden dann jeweils maximal fünf Key Results, konkrete und messbare Ergebnisse zugeordnet. Nach dem Ablauf einer bestimmten Zeit, häufig drei Monate, werden diese überprüft und die nächste Phase geplant. Bei großer Unsicherheit und rascher Veränderung im Umfeld gilt es, die strategische Ausrichtung in kürzeren Intervallen anzupassen. Quartalsweise Strategy Refinement Workshops erlauben einen adaptiven Strategieprozess. Ein Strategizing-Team steuert diesen. Die Strategie wird so laufend nachgeschärft. Der Purpose der Organisation gibt dabei Orientierung. Regelmäßig werden die Erfahrungen ausgewertet, das Lernen in der Organisation angeregt und Verbesserungen für die nächste Phase eingeleitet. Strategie wird somit zum Lernprozess für die gesamte Organisation.

Virtuelle Möglichkeiten nutzen

Die klassische Strategiearbeit findet meist in Klausuren in Seminarhotels mit ausgewählten Teilnehmern statt. Diese Form der Strategiearbeit ist in der aktuellen Situation mit den Coronarestriktionen kaum leistbar. Digitale Tools bieten mittlerweile Möglichkeiten einer hochwirksamen virtuellen Strategieentwicklung und Strategieumsetzung an. So können Workshops – auch mit vielen Teilnehmern – mobilisierend und dialogorientiert geführt werden. Dabei gibt es plenare Impulse, Dialoge in Kleingruppen, unmittelbares Feedback von Real-Time-Abfragetools von allen Teilnehmern bis hin zu einer gemeinsamen Arbeit mit digitalen Whiteboards.