Aus der Verlegenheit zu neuen Möglichkeiten

Die Welt verändert sich – und mit ihr unsere Arbeitsweise

Im März 2020 ist für uns Berater eine Welt zusammengebrochen. Der erste Lockdown hat dazu geführt, dass wir uns von heute auf morgen nicht mehr mit unseren Kunden persönlich treffen konnten und keine Workshops bzw. Seminare mehr durchführen konnten. Ein zentrales Element unserer Arbeit, der persönliche Kontakt mit Gruppen und die Gestaltung von wirksamen Interventionen der persönlichen Zusammenarbeit wurde uns entzogen. Nach einer ersten Schrecksekunde haben wir die Situation für uns neu geframt. Wir hatten schon vor Covid-19 immer wieder mit virtuellen Meetings – intern wie extern – experimentiert und dann doch immer wieder auf die altbewährte Form der „face to face“ Meetings zurückgegriffen. Oft, weil wir uns mit schlechtem IT-Equipment, mangelnden Bandbreiten, schlecht performanten Kommunikationslösungen und unklaren Spielregeln zufriedengaben. Nun aber war ausreichend äußerer Druck da, sodass wir uns ernsthaft mit virtuellen Möglichkeiten auseinandersetzen mussten. Auch unsere Kunden konnten nicht so schnell die Flinte ins Korn werfen, schlichtweg weil es keine Alternative gab. Es war beeindruckend zu sehen, wie rasch IT-Abteilungen bei unseren Kunden mit ausreichend Ansporn Bandbreiten aufstocken und in kurzer Zeit Mitarbeiter mit Equipment bis hin zu eigenen Videokameras ausstatten konnten.

Von der Video-Konferenz zum virtuellen Großgruppen-Event

Sehr schnell standen wir vor der Herausforderung nicht nur virtuelle Meetings gut zu moderieren, sondern ganze Workshopveranstaltungen mit 50 Personen und mehr interaktiv und dynamisch zu gestalten. Wir testeten Nächte lang die Funktionalitäten der unterschiedlichen Videoconferencing Lösungen und überlegten, wie wir Workshopinterventionen aus der realen Welt in die virtuelle übertragen konnten.

Wir finden, wir waren in kürzester Zeit sehr erfolgreich. Schon nach 2 Wochen designten wir interaktive, virtuelle Großgruppenveranstaltungen mit sehr positiven Rückmeldungen der Auftraggeber. Das gesamte Beraterteam hat in kürzester Zeit Ideen, Erfahrungen und Wissen aus unterschiedlichen Experimenten zusammengetragen und so eine beachtliche Kompetenz und ein umfassendes Repertoire entwickelt.

Inzwischen gestalten wir 4tägige Kreativitätsworkshops mit 30 global verteilten Managern eines Großkonzerns genauso wie eintägige Strategieupdate-Workshops, oder begleiten agile verteilte Innovationsteams in wöchentlichen Arbeitssessions. Unsere Trainingsformate – transferiert in den virtuellen Raum – sind noch mehr auf den Punkt gebracht, oft in kompakte 1 bis 3 Stunden Nuggets verpackt und gleichzeitig sehr interaktiv.

Eines unserer Großgruppenhighlights im vergangenen Jahr war sicher der TUA Innovationsmarathon, bei dem wir 24 Stunden mit 50 Studierenden aus der ganzen Welt für 5 österreichische Firmen innoviert haben. „Bessere Ergebnisse als in den Jahren zuvor“ war eine der erstaunlichen Rückmeldungen eines erfahrenen Auftraggebers, der diese Veranstaltung zuvor schon mehrmals in Präsenz erlebt hatte. Doch nicht nur Großgruppenformate sind gelungen, sondern auch die Begleitung von kleinen agilen Innovationsteams in unterschiedlichen Branchen hat sich mit den passenden Methoden als besonders wirksam herausgestellt. All unsere Erfahrungen haben wir in kurzfristig erstellten Qualifizierungspaketen für virtuelle Moderation online angeboten.

Virtual Companionship und andere innovative Formate

Aus diesen Erkenntnissen der Übertragung klassischer Formate in den virtuellen Raum haben wir bald erkannt, dass durch die neuen Möglichkeiten nun auch ganz andere wirksamere Interventionen gestaltet werden können. Da sich der Aufwand für das Reisen vieler Personen praktisch auf null reduziert, wird es auf einmal möglich auch kurze Formate mit potenziell vielen Teilnehmenden zu gestalten. Ein Beispiel sind unsere 2,5-stündigen firmeninternen Town Hall Meetings, mit denen wir bei uns alle am selben Wissensstand halten und die Moral in schwierigen Zeiten hochhalten.

Aber auch den Kunden können wir nun viel wirksamere Interventionen anbieten. Früher musste ein Kundenworkshop zumindest einen halben Tag dauern, um den Aufwand zu rechtfertigen. Typische Workshops dauerten 2 Tage um den Trade-Off zwischen Anreiseaufwand – ausreichend Zeit für die Inhalte und dem wartenden Tagesgeschäft auszubalancieren. Im virtuellen Setting sind wir daran nicht gebunden. Wir können 2 Tagesworkshops auf 4 Halbtage verteilen und haben dennoch Teilnehmende aus der ganzen Welt eingebunden – jeden Tag. Oder, wir können jetzt virtuelle Teams sehr effizient in wöchentlichen 45min Meetings als agile Innovationberater und -trainer über Monate begleiten. Wir nennen es virtual Companionship und sind überzeugt, dass wir damit ein zukunftsweisendes Format entwickeln. Wir können so einerseits wirksame agile Rituale wie Stand-ups und Retrospektiven direkt in die Projektarbeit einführen und andererseits methodische Unterstützung punktgenau anbieten. Klassische Trainings, die oft zeitlich entkoppelt von der konkreten Arbeit sind, werden durch kurze Videosequenzen ersetzt, die situativ empfohlen, genau das erklären was in der konkreten Situation von einem Projektteam benötigt wird. Wir konzentrieren uns dann in der wöchentlichen Arbeit mit den Teams auf den unmittelbaren Transfer in die aktuelle Projektphase. Frei nach dem Motto „Rhythmus schlägt Einmalaufwand“ sind wir dadurch in unserer Begleitung um einiges wirksamer und die Investition für unsere Kunden ist gleichzeitig sehr attraktiv.

Die Disruption hat gerade erst begonnen

Wir sind gerade erst dabei das disruptive Potential der von COVID-19 ausgelösten weltweiten Notwendigkeit, sich auf virtuelle Kommunikation einzustellen, für unser Innovationsconsulting zu entdecken. Wir transformieren dabei unser Selbstverständnis mehr und mehr weg vom Consulting hin zur virtuellen Companionship, und damit noch stärker zu einer Partnerschaft mit unseren Kunden. Wir experimentieren wöchentlich mit neuen Formaten und bekommen für Vieles sehr gutes Feedback. Wir haben uns entschlossen ein eigenes Umfeld für Experimente zu schaffen, in dem wir mit allen Interessierten unsere neuesten Ideen und virtuellen Leistungsangebote teilen. Wir nennen es ICG-Beta und werden es in den nächsten Wochen offiziell aus der Taufe heben. Vor dem wertvollen Hintergrund von über 35 Jahren systemisch geprägter Beratungs-Erfahrung der gesamten ICG Gruppe beschreiten wir damit neue Wege im Innovationsconsulting. Aus der Verlegenheitslösung virtuell arbeiten zu müssen tun sich spannende neue Felder der wirksamen Begleitung auf.


Learnings für virtuelle Zusammenarbeit

Was sind die wichtigsten Erfahrungen und Learnings mit virtuellem Arbeiten aus diesem Jahr:

Disclaimer: Wir sprechen im Weiteren von 100% virtuellen Settings, das bedeutet, dass jeder Teilnehmende einzeln teilnimmt und es an keinem Punkt Kleingruppen vor einem Bildschirm gibt (über die Herausforderungen dieser Hybriden Formate haben wir bereits hier berichtet.)

  1. Eine gewissenhafte Vorbereitung und Gestaltung eines ausgeklügelten Meeting-Designs ist wichtiger denn je. Damit das Format wirksam, animierend und nicht ermüdend ist, gilt es, wohlüberlegt interaktive Sequenzen einzubauen. Wichtig sind kurz gehaltene Impulse, Zeit für Kleingruppendialoge und ausreichend lange Pausenzeiten.
  2. Mit dem Einsatz von Kameras für alle Teilnehmenden lässt sich eine gute Vertrauensbasis zwischen Personen aufbauen, die sich vorher noch nie gesehen haben. Psychologische Sicherheit ist keine Frage der physischen Nähe, sondern des Mind-Sets des Teams.
  3. Impulse können von allen Teilnehmenden gleich gut (auf ihrem eigenen Bildschirm) erfasst werden. Der Bedarf für einen passenden Raum mit entsprechend großer Leinwand bei vielen Zuschauern fällt weg. Jeder kann sich sein Interface entsprechend seiner Vorlieben individuell gestalten, und sich dadurch besser auf die vorgestellten Inhalte konzentrieren.
  4. Kleingruppen Setting (Break-out Sessions) sind unerlässlich für interaktive Arbeit und eine der zentralsten Interventionen. Wenn diese konsequent eingesetzt werden, können damit räumlich weit getrennte Teams wunderbar zusammenarbeiten. Voraussetzung ist dafür eine leichtgängige stabile Lösung, wie sie vor allem von Zoom geboten wird.
  5. Kleingruppenergebnisse sind unmittelbarer nutzbar. Da das Schreiben von Post-its durch elektronische Formen von Whiteboards ersetzt werden sind die Ergebnisse einerseits sofort lesbar und andererseits als elektronische Schrift nicht wie bei handschriftlichen Notizen einer Person zuordenbar. Damit wird ein vorhandener Text viel schneller und hemmungsloser umgestaltet und damit tendenziell besser. Die Qualität von Konzepten steigt damit.
  6. Zum ersten Mal können dislozierte Teams wirksam zusammenarbeiten und damit kann das Potential von Diversität viel besser genutzt werden.
  7. Die Teilnehmenden sind im Schnitt bei weitem pünktlicher als in der realen Welt. Dies mag zum Teil der Tatsache geschuldet sein, dass man im Home Office nicht von einem Meetingraum zum anderen hetzen muss, jedenfalls ein sehr positives Signal der gegenseitigen Wertschätzung, das einem Meeting gleich einen noch besseren Start verschafft.
  8. Die Disziplin ist außergewöhnlich hoch. Kein Wunder, das übliche „Schwätzen zu zweit“ ist im virtuellen Plenum praktisch nicht möglich, und wenn es über den Chat erfolgt, stört es die anderen nicht.
  9. Das Timing von Workshops lässt sich viel besser gestalten und einhalten, ein pünktliches Ende ist bei guter Gestaltung Gewissheit.