Warum „nicht zuzuhören“ fahrlässig ist und Beteiligungsprozesse millionenschwere Fehler vermeiden können

Organisationen überwachen den Erfolg von Change Prozessen bzw. Transformationsvorhaben durch unterschiedlichste Reportings und das Erreichen von Leistungskennzahlen. In diesem Prozess oftmals übersehen: Zuhören; also das Hören von Feedback, sowohl von Mitarbeiter:innen als auch Kund:innen. Denn gerade die Kunst des Zuhörens ist eine der relevantesten Trägerinnen erfolgreicher Transformationsvorhaben. Führungskräfte, die kein Feedback einholen bzw. nicht bereit sind, relevanten Stakeholder:innen zuzuhören, handeln unserer Meinung nach fahrlässig.

Warum es sich „auszahlt“, zuzuhören

Wie folgenschwer es sein kann, Entscheidungen nur anhand einer reinen Leistungskennzahlenanalyse zu fällen, ohne die betroffenen Personen miteinzubeziehen, skizzieren wir mit McDonald’s milliardenschwerem Fehler der Initiative „Made for You“. Dieser zeigt, warum Zuhören gerade bei Veränderungsvorhaben essenziell ist.

Um auf Megatrends, wie Individualisierung zu reagieren, überarbeitete der Leiter der US-Abteilung der Fast-Food-Kette im Jahr 1998 das gesamte Lebensmittelzubereitungssystem des Unternehmens. Im Glauben, dass die Kunden individuellere Bestellungen wünschten, führte er ein Konzept namens „Made for You“ ein. Die Zielsetzung des Konzepts: Produktqualität und Effizienz der Bestellungen zu erhöhen, indem jeder Burger direkt nach der Bestellung zubereitet wird. „Made for You“ scheiterte, da die Führung von McDonald‘s nicht erkannt hatte, wie die Änderung der Zubereitung das bis dato wichtigste Verkaufsargument für McDonald‘s Kund:innen beeinträchtigen würde: die Geschwindigkeit hoch und die Kosten niedrig zu halten. Die Konsequenz: „Made for You“ war ein milliardenschwerer Fehler, der sich sogar negativ auf den Aktienkurs des Unternehmens auswirkte. Hätten sich die Führungskräfte von McDonald’s die Zeit genommen, vor Einführung des Konzepts Kund:innenfeedback zu sammeln, und/oder den Prototypen getestet, hätten sie wahrscheinlich erkannt, dass das Vorhaben eine Fehlinvestition ist.

Es kommt auf die richtige Dosis an

Bedeutet dies, dass Unternehmen vor jedem Veränderungsvorhaben und vor jeder Entscheidung umfassend Feedback einholen sollten? Nein. Unterschiedliche Phasen eines Veränderungsprozesses verlangen nach unterschiedlicher Tiefe wie auch unterschiedlichen Methoden, um Feedback einzuholen. Wann und wo welche Formen des Feedbacks und des „Zuhörens“ gefragt sind, wollen wir Ihnen anhand der „ICG Listening Journey“ aufzeigen.

Differenzierte Formen des „Zuhörens“ entlang des ICG-Transformationsprozesses

Die ICG strukturiert Transformationsvorhaben in fünf Prozessphasen (Initiate, Awareness & Directing, Prototyping, Scaling, Anchoring) und zwei Querschnittsthemen (Communicating und Leading). In Abhängigkeit von vorhandenem Wissen über Kund:innen, Mitarbeiter:innenwünsche und/oder Konkurrenz, kann der Einsatz verschiedener Tools und Methoden mehr oder weniger intensiv ausfallen. Mit der „ICG Listening Journey“ zeigen wir, wie wir in Veränderungsvorhaben Feedback einholen, falls nur wenig, bis keine Information vorliegt.

Listening Journey entlang des ICG-Tranformationsprozesses (Grafik Full Screen)

  1. Initiate – „Wo drückt der Schuh?“

In Phase 1 des Transformationsprozesses gilt es deutlich zu machen, warum ein solcher überhaupt notwendig ist. Hierbei kann Feedback von innen und außen helfen. „Zuhören“ bedeutet vor allem herauszukristallisieren, welche Faktoren aus Kund:innen- und/oder Mitarbeiter:innen-Perspektive relevant sind und wie sie bewertet werden. Mit quantitativen Methoden, wie Befragungen zur Kund:innen- und Mitarbeiter:innen-Zufriedenheit, schaffen Sie eine belastbare Zahlenbasis für den Transformationsprozess.

  1. Awareness & Directing – „Wohin sollen wir uns entwickeln?“

Wurde aufgezeigt, wo der Schuh drückt, stellt sich in Phase 2 die Frage, in welche Richtung eine Veränderung gehen soll. Dies kann gelingen, indem Sie das Top-Management, Manager:innen, Mitarbeiter:innen und Prozesspartner:innen einbinden und in Feedbacksequenzen deren Bedürfnisse und Ideen hören. Dazu bieten sich etwa Stakeholder:innendialoge und -konferenzen, Co-Creation Workshops oder Zukunftswerkstätten an. Ergänzend können Sie statistische Methoden, wie Segmentierungen und damit verbunden Marktpotentialberechnungen, heranziehen, um relevante Zielgruppen zu identifizieren und im Veränderungsprozess zu fokussieren.

  1. Prototyping – „Wie kommen erste Veränderungen an?“

Ist das Ziel klar, gilt es: „Rasch ins Tun zu kommen“. Ganz gleich, ob es sich um Produktinnovationen, neue Organisationskonzepte oder Kulturtransformation handelt, erproben Sie neue Verhaltensweisen, Ideen, Produkte und/oder Muster. In dieser Phase empfehlen wir Ihnen, sich intensiv mit den Adressat:innen der Transformation auseinanderzusetzen – sowohl durch quantitative Testverfahren als auch durch qualitative Methoden des Zuhörens, wie Tiefeninterviews, Fokusgruppen oder sogar Tagebuch-Analysen. Positives Feedback hilft Ihnen bzw. Ihrer Organisation dabei, erste Erfolge im Transformationsprozess zu feiern. Kritisches Feedback hilft zu lernen und ggf. nachzujustieren. Im Beispiel von McDonalds hätte ein Konzept-Store, eine Testfiliale oder ein einfacher Prototyp möglicherweise ausgereicht, um die Fehlinvestition zu vermeiden oder das Konzept weiterzuentwickeln.

  1. Scaling – „Optimierung durch kontinuierliches Feedback“

In der Phase des Scaling bekommt Zuhören einen anderen Spin. Hier werden neue Konzepte, Verhaltensweisen und Muster verankert. Die Organisation befindet sich in der Phase des „Lernens“. Richten Sie Ihren Blick nach innen. Es gilt dem Team/den Umsetzer:innen zuzuhören und ihnen Methoden und Tools zur Verfügung zu stellen, damit das „Neue“ zur Routine wird. Im Fokus stehen jetzt qualitative Methoden bzw. Teambuilding durch „Lessons Learned“ oder eine „Teamretrospektive“.

  1. Anchoring – „Welchen Impact erzielen wir?“

In der letzten Phase geht es darum, die Veränderungen dauerhaft zu verankern. „Zuhören“ ist hier vor allem ein „Reality-Check“. Trägt der Transformationsprozess bereits Früchte? In der Privatwirtschaft werden das häufig Kund:innen sein, die z. B. ein (positiv) verändertes Mitarbeiter:innenverhalten wahrnehmen. Mit Blick auf den öffentlichen Sektor ist es denkbar, dass Leistungen und Angebote durch die jeweilige Zielgruppe besser in Anspruch genommen werden.

Um die Verankerung der Transformation “messbar “ zu machen, empfehlen wir auch an dieser Stelle den Einsatz quantitativer Methoden, z. B. in Form von Imageanalysen.

 

Unser Fazit
Durch aktives Zuhören von Führungskräften und Change Manager:innen verlaufen Transformationsprozesse nicht nur reibungsloser, sondern auch treffsicherer. Das gilt sowohl für gewinnorientierte Unternehmen als auch für den öffentlichen Sektor und NGOs. Gerade letztere können so Informationen gewinnen, die sonst aufgrund des fehlenden Korrektivs des Marktes unbekannt bleiben würden. Denn Zuhören impliziert unabhängig vom Sektor:

  • Wertschätzung: Geben Sie den betroffenen Menschen das Gefühl, dass sie wichtig sind, dass ihnen zugehört wird und dass sie ein zentraler Teil des Veränderungsprozesses sind.
  • Effektiver agieren: Setzen Sie nur dort an, wo wirklich Bedarf besteht und das Konzept durch Einholen von Feedback im gesamten Prozess (nach-)justiert werden kann.
  • Bessere Kommunikation: Statt Einwegkommunikation können verschiedenste Perspektiven von jenen Menschen gehört und vor allem auch verstanden werden, die von den Change-Initiativen direkt betroffen sind. So können Kommunikations- und Veränderungsaktivitäten zielgerichtet gestaltet werden.
  • Fehler minimieren und effizienter Lernen: Evaluieren Sie Stoßrichtungen, Konzepte, Prototypen kontinuierlich aus Nutzer:innenperspektive.
  • Selbstvertrauen steigern: Kommunizieren Sie in Ihrer Organisation transparent, dass der bestrittene Weg erfolgreich ist. So können Sie Transformationsvorhaben von innen heraus stärken. „Kleine“ Erfolge zu feiern, gibt jedem Vorhaben den notwendigen Spin.

Oder in einem Satz: Reden ist Silber, Zuhören ist Gold.