Das psychologisch »sichere« Klima

Die amerikanische Psychologin Amy Edmondson beschreibt psychologische Sicherheit als geteiltes Verständnis in einer Gruppe darüber, dass es  sicher ist, als Einzelperson ein Risiko einzugehen. Niemand muss sich Sorgen machen, dass eine Äußerung abschätzendes Gelächter, Tratsch oder Kritik nach sich zieht – gegenseitiger Respekt sowie Vertrauen in einen wertschätzenden Umgang mit dem, was man zu sagen hat, prägen das »psychologisch sichere« Klima. In einem solchen Klima fällt es Menschen sehr  leicht zu arbeiten und zu lernen – Fragen sind dann kein Zeichen der Inkompetenz,  sondern werden als Interesse und Neugier wahrgenommen. Bedenken zu äußern wird nicht nur geduldet, sondern sogar eingefordert.

Im Falle fehlender psychologischer Sicherheit sieht das Klima in der Organisation ganz anders aus: Personen fühlen sich dabei nicht wohl, ihre Meinung auszusprechen, insbesondere wenn es kritische Äußerungen oder Bedenken betrifft. Aus Angst heraus, als inkompetent wahrgenommen zu werden, wählen Mitarbeitende lieber den Weg des geringeren Widerstandes: Man sagt einfach nichts, denn was man nicht sagt, tut oder von sich zeigt, macht einen auch nicht angreifbar. Forschungsergebnisse belegen, dass psychologische Sicherheit eine Kernkomponente ist, wenn es um die Lern- und Leistungsfähigkeit von Gruppen geht: Wie miteinander gesprochen wird und mit welcher Offenheit  Themen diskutiert werden, hat einen signifikanten Einfluss darauf, wie die schlussendliche Performance eines Teams ausfällt.

Psychologische Sicherheit ist gestaltbar

Unserer Erfahrung nach geht das Vorhandensein von psychologischer Sicherheit in einer Organisation Hand in Hand mit einer Kultur, die von Wertschätzung geprägt ist.  Führungskräfte spielen in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle – durch ihre Vorbildwirkung tragen sie maßgeblich zur Herstellung von psychologischer Sicherheit bei. Es gibt zahlreiche konkrete Möglichkeiten, wie das getan werden kann. Eine leicht anwendbare Technik ist das Framing von Aufgaben als Lernherausforderung. Das schlichte Anerkennen, dass die meisten Aufgaben in der modernen Arbeitswelt ständige Zusammenarbeit erfordern und es zur erfolgreichen Bewältigung die Fähigkeiten aller braucht, ist bereits eine sehr wirkungsvolle Intervention. Anwenden lässt sich dies beispielsweise durch explizites Aussprechen in Meetings: »Für dieses Projekt benötigen wir die Augen und Ohren aller in diesem Team – ich bin darauf angewiesen, dass sich alle einbringen. Eure Meinungen sind mir wichtig.« Weitere Gestaltungsmöglichkeiten in der Gesprächsführung und in  Meetings sind das Stellen von interessierten Fragen, die Einladung an alle, sich zu Wort zu melden sowie sich für Kritik und Bedenken explizit zu bedanken. Sehr wirkungsvoll ist es auch, als Führungskraft den intendierten Umgang mit Fehlern aktiv vorzuleben. Sie hätten gerne, dass in Ihrem Team Fehler oder Unsicherheiten zeitnah und in wertschätzender  Art und Weise besprochen werden? Stellen Sie Ihre eigenen Fehler und Unsicherheiten zur Verfügung! Durch Ihr Beispiel setzen Sie ein Zeichen für gelebte Fehlerkultur. Darüber hinaus können Sie in Ihrem Team auch eine erste Bestandsaufnahme machen, indem sie einfach beobachten, wer sich in Ihrer Runde immer zu Wort meldet und wer zu kurz  kommt. Selbstverständlich gibt es individuelle Präferenzen, sich in einer Runde einzubringen – es muss kein Zeichen psychologischer Unsicherheit in der Gruppe sein, dass Sprecherzeiten nicht gleich verteilt sind. Allerdings lohnt es sich, als Führungskraft einen Blick darauf zu werfen und auch  das Meeting-Setting dahingehend zu gestalten, dass es  einladend für alle ist, sich einzubringen. Einfache Interventionen wie beispielsweise kurze Einstiegsrunden, in denen alle zu Beginn des Meetings zu Wort kommen, können die  Qualität des Meetings bereits maßgeblich beeinflussen.

Die Verantwortung bleibt

Heißt das nun, dass alles erlaubt sein muss und Fehler vom Team ausgebadet werden? Ganz klar: Nein! Das Gegenteil ist der Fall: In einer psychologisch sicheren Organisation wird die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen nicht ausgehebelt, sondern transparent dargestellt. Um zu wissen, wo alle stehen, welche Schwierigkeiten auftreten oder welche  Unsicherheiten vorhanden sind, braucht es aber Sicherheit, diese auch ansprechen zu können, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Fehler werden weiterhin passieren – durch psychologische Sicherheit können Sie diese allerdings an die Oberfläche bringen und damit besprechen.