In der Realität vieler mitteleuropäischer Konzerne oder klassischer Organisationen fi nden sich bei den Themen Strategie- und Zukunftsarbeit wenig Hinweise für wirkliche Innovationen im Managementverhalten. Führungskräfte – und das gilt für Vorstände genauso wie für Abteilungs- oder Bereichsleiter – sind eingezwängt in Routinen, die darauf getrimmt sind, Erfolge der Vergangenheit zu erhalten. Verschärft wird die Situation durch rigide Regularien (ganz besonders im Finanzwesen) und die Dominanz von traditionellen, mechanistischen Organisationsbildern. Auf Herausforderungen der VUCA-Welt in 2016 und die weiter steigende Komplexität wird zu häufi g mit alten Beherrschungsmechanismen reagiert, weil die »Maschine Organisation« ja weiter reibungslos laufen muss.

Die Anstrengung, Fremdbestimmung und der Druck steigt. Burnouts werden zwar durch Yoga-Seminare oder Ähnliches symptomhaft behandelt, nehmen aber dennoch rasant zu. Wir erleben lauter Phänomene, die darauf abzielen, bestehende Zustände aufrecht zu erhalten und Erneuerung zu verhindern. Schließlich ist man ja (noch) sehr erfolgreich. Andererseits gibt es in jedem Unternehmen Initiativen, die versuchen, die Dinge zu verändern: Innovationsprogramme und die Arbeit an Zukunftsbildern oder an Strategieprozessen sind Ansätze, um aus dem Hamsterrad auszubrechen. Damit möchte man bekannte Schicksale à la Kodak, Quelle, Barnes & Nobles oder Nokia vermeiden. Zukunftsarbeit braucht neue Handlungsmuster im Management, um wirklich die Saat für nachhaltige Erneuerung zu säen.

»Sicher-nicht«-Empfehlungen

Für echte Zukunftsarbeit braucht es keine externen Berater, die tolle Konzepte entwickeln und das Management dann bei der Verwirklichung alleine lassen beziehungsweise danach als Aufpasser mit traditionellen Steuerungsmethoden die Umsetzung überwachen. Es braucht sicher auch keine langatmigen Prozesse, für die zuerst alle Mitarbeiter mobilisiert werden und beim Tun dann jeder wieder in die bewährte Routine zurückfällt.

Neue Innovationskultur

Führungskräfte traditionell aufgestellter Unternehmen (Start-up’s, dynamische Familienunternehmen ticken sowieso anders) sollen auf vier Aspekte besonders achten, um nicht im eigenen Saft zu schmoren, sondern stattdessen zu Pionieren der Erneuerung zu werden.

1. Konsequent Freiräume schaffen

Bevor man Neues angeht, muss man sich von Ballast trennen. Wie sonst sollen Führungskräfte, die bereits 60 bis 80 Stunden pro Woche arbeiten und dabei zu 50 bis 80 Prozent in Meetings durchgetaktet agieren, in ein anderes »Betriebssystem« wechseln können? Klassiker zum Ausmisten sind:

  • Weniger, kürzere, besser vorbereitete Meetings.
  • Wirkliche Delegation von Verantwortung an Mitarbeiter/Teams.
  • Nein-Sagen bei Rückdelegationen.
  • Bewusstes Weglassen von sogenannten gesellschaftlichen Verpflichtungen.
  • Streichen von Berichten und Kontrollzeiten.
  • Ersatzloses Streichen von Aufgaben, die wenig Wertschöpfung bringen.
  • Weglassen von aufwändigen PowerPoint-Präsentationen und Aufträgen für Konzepte, die nur der »Politik« dienen.

Wenn Sie bei Ihrem Reduktionsprogramm bei 20 Prozent Freiraum sind, haben Sie genug Luft zum Atmen geschaffen. Das ist übrigens jener Prozentsatz, der jedem Google-Mitarbeiter für selbstgestaltete Innovation zur Verfügung steht.

2. Die Quelle der eigenen Innovationskraft

Jeder von uns ist kreativ, hat Quellen, aus denen er im Leben Neues schöpft. Erkunden Sie Ihre Potenziale – ob im privaten oder beruflichen Umfeld. Dazu brauchen Sie über eine Spanne von vier Wochen Zeit und eine digitale oder analoge Möglichkeit, um persönliche Notizen zu machen. Erforschen Sie zuerst Ihre Innovationsbiografie, indem Sie dazu eine Grafik zeichnen. Tragen Sie entlang einer Zeitachse jene Ereignisse ein, bei denen für Sie etwas Neues entstanden ist. Halten Sie gleich den jeweiligen emotionalen Zustand fest, der dadurch ausgelöst wurde. Erkunden Sie bei jedem Ereignis auch, was Sie alles gemacht haben, um Neues zu bewirken.

Anschließend betreiben Sie eine persönliche Inventur nach drei Fragen, die Rosaline Torres in ihrem Vortrag zum Thema »Leadership im 21. Jahrhundert« bei einer großen BMW-Führungskonferenz gestellt hat:

  • Wohin schauen Sie, um die nächste Veränderung in Ihrem Geschäftsmodell oder Ihrem Leben vorauszusehen? Fragen Sie sich: Mit wem verbringen Sie Zeit? Wohin verreisen Sie? Mit welchen Themen befassen Sie sich?
  • Wie vielfältig ist Ihr persönliches und berufliches Netzwerk? Visualisieren Sie Ihr Netzwerk, um es für Sie transparent zu machen.
  • Sind Sie mutig genug, um eine Vorgehensweise aufzugeben, die Sie in der Vergangenheit erfolgreich gemacht hat? Welche Beispiele dafür gibt es? Wo ist es Ihnen nicht gelungen?

Als letzten Schritt Ihrer persönlichen Learning Journey begeben Sie sich als Scout beziehungsweise Erkunder von Neuem in Ihr Umfeld. Sammeln Sie dabei alle Beobachtungen, bei denen für Sie spannende Ideen sichtbar wurden. Diese sollten möglichst alle Lebenslagen umfassen und sich keinesfalls nur auf den Bereich Ihrer Führungsfunktion beziehen. Wo haben Sie spannende Geschichten aus anderen Branchen oder aus einem anderen Metier gesehen/gehört? Wo wurden Sie als Kunde, User oder Konsument überrascht? Notieren Sie Stichworte zu all diesen Geschichten in Ihrem persönlichen Learning Journey Journaling. Nehmen Sie sich in vier Wochen mindestens zehn Stunden Zeit, um im Internet zum Thema innovative Geschäftsmodelle, Trends etc. zu recherchieren. Und wenn Sie dann noch Zeit haben, suchen Sie sich ein Buch aus, das auf das Management von Zukunft abzielt.

3. Ein »Soziotop« für die Erneuerung

Innovation braucht auch ein geschütztes Umfeld, in dem Neues gedacht, ausgesprochen und konzipiert werden darf, ohne Angst vor Fehlern oder dem sofortigen Festlegen an Zielvereinbarungen. Wichtig dabei ist, dass diese Soziotope unter dem Schutz der Mächtigen stehen und nicht durch ISO-Prozesse, Reglementierungen der Konzernzentrale, durch die interne Revision oder Ähnliches »zertrampelt« werden können.

Besonders wirkungsvoll ist es, wenn sich eine Gruppe dieser Mächtigen zu einem Team zusammenschweißt und eine echte Pionierrolle für die Zukunftsgestaltung übernimmt. Pioniere oder Start-up-Unternehmer sind Überzeugungstäter, intrinsisch motiviert, handeln entsprechend ihrer Leitideen und lassen sich von Konzern-Politik oder anderen »Windböen« nicht so leicht aus der Bahn werfen. Eine weitere spannende Spielform eines Innovations-Soziotops ist die Einladung an interessierte Querdenker und Zukunftsmaler im Unternehmen, ein autonomes Start-up-Team zu bilden. Früher hieß diese Art von Team ThinkTank – heute geht es um mehr als nur Denken – es geht um das geschickte Initiieren von Tun und die Beeinflussung der traditionellen Organisation in Richtung Zukunft. Oder Sie holen sich diese Teams über geschicktes Akquirieren und Integrieren von Start-up’s in Ihren Bereich. Das gesamte Silicon Valley betreibt Innovation primär über dieses Prinzip.

Für all diese Teams gilt folgendes: es braucht Diversität (in allen Dimensionen), Menschen mit einem inneren Anliegen und eine gesunde Portion Mut. Innovation ist somit nichts für karriereorientierte Opportunisten, konzernpolitische Taktiker oder Menschen, die lieber Aufträge erfüllen als eigene Ideen zu verfolgen.

4. Prototypen des Neuen

Das Neue ist erst dann für die Masse der Abwartenden (und diese umfasst üblicherweise über 70 Prozent) vorstellbar, wenn es Praxisbeweise gibt. Es braucht Vorzeigbares, wie in Zukunft mit neuen Arbeitsweisen, neuen Geschäftsmodellen oder neuen Organisationsformen erfolgreich Geschäft gemacht werden kann. Dazu helfen interne Start-up-Konstellationen oder Rapid Results-Initiativen. Das sind Vorhaben, bei denen Teams eigenverantwortlich selbst gesteckte, herausfordernde Ziele erreichen wollen und dabei völlig neue Arbeitsweisen erproben. Damit beweisen sie ihrer Umwelt, was alles möglich ist, wenn Fokus, Kollaboration und Energie stimmen.

Diese vier Aspekte brauchen etwas, was sie zusammenhält. Idealerweise ist das eine Leitidee, eine Ambition, eine kollektive Sehnsucht oder ganz einfach ein Traum davon, wo die Reise idealerweise hingehen soll, wenn man das Unternehmen in fünf Jahren auf der grünen Wiese stehen sehen will. Unternehmen und Organisationen, die die Erneuerung nach den vier Aspekten betreiben, haben eines gemeinsam: Die Führungskräfte lassen sich auf einen Prozess ein, der kein klares Programm ist und keine exakten Projektmeilensteine mit monatlichem Monitoring hat. Dieser Prozess lebt von einigen klaren Prinzipien, die Ray Miles schon vor Jahren TTT (Time – Trust – Territory) nannte. Weiters ist dialogische Kommunikation nötig, bei der es nicht um »recht haben« und dem Beweis von Argumentationsstärke geht, sondern um Zuhören, erkundendes Fragen und mutiges Querdenken.

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