»10 Moments of Truth«

Eine passende Unternehmenskultur ist heute mehr denn je die Grundvoraussetzung für Zukunftserfolg, für die Umsetzung neuer Strategien und für das Überleben in unserer immer weniger planbaren Welt. Ein Kulturwandel gelingt jedoch nur, wenn sich Führungskräfte ihrer Verantwortung als die »Gestalter:innen einer zukunftsfähigen Unternehmenskultur« bewusst sind und dementsprechend handeln.

Neben den klassischen Führungsaufgaben, Zukunftsgestaltung, Steuerung des operativen Geschäfts und Mitarbeiterentwicklung, ist das kulturelle Leadership die vierte, oft unterschätzte Dimension von erfolgreicher Führung. Dabei geht es darum, Werte, Mindset und Verhalten von Menschen zu beeinflussen, sodass eine Stimmung, ein Flow beziehungsweise eine kollektive Ausrichtung für einen gemeinsamen Purpose, gemeinsame Ziele und Visionen entstehen.

Mit Wertekampagnen, Leitbildprozessen oder klassischen Kulturinitiativen ist es zumeist nicht getan. Die Führungskräfte selbst, insbesondere deren Verhalten und erlebbaren Handlungen, sind der Gradmesser, ob Menschen auf Augenhöhe beim Kulturwandel mitmachen. Wenn die verkündeten kulturellen Ansprüche (zum Beispiel »Ich erwarte mir Offenheit und Mut zum Risiko«) mit dem realen Führungsverhalten (zum Beispiel werden Entscheidungen immer politisch vorabgestimmt und alles muss durch drei Kontrollschleifen gehen) nicht zusammenpassen, wartet man als Mitarbeiter:in lieber einmal ab oder kommentiert die »Kulturkampagne« manchmal auch zynisch beim Kaffeeklatsch.

Es sind diese 10 »Moments of Truth«, wo Führungskräfte beweisen müssen, wie ernst sie es mit der Gestaltung der Unternehmenskultur meinen.

1. Bei der Besetzung von Führungsrollen

Warum macht jemand Karriere oder bekommt eine attraktive Führungsrolle? Passen persönliche Werte, Mindset und erlebbares Verhalten der- oder desjenigen, die beziehungsweise der Karriere macht, mit den ausgerufenen Unternehmenswerten zusammen? Wenn ja, gibt das eine klare Orientierung, was bei uns zählt. Wird jedoch jemand befördert, die beziehungsweise der zum Beispiel sehr kompetitiv agiert und der offiziell verkündete Wert heißt aber »Kollaboration«, entsteht weder Glaubwürdigkeit noch Wirkung in Richtung der gewünschten Zusammenarbeitskultur.

2. Im konsequenten Umgang mit Abweichungen von vereinbarten Werten

Es gilt der Grundsatz: Verstoßen Schlüsselpersonen nachhaltig gegen das definierte kulturelle Werte-Set, muss es zu Konsequenzen kommen. Auch hier ist Leadership gefragt: Eine aktive Auseinandersetzung mit diesen Abweichungen, Abberufungen von Rollen beziehungsweise Trennungen von Mitarbeiter:innen sind nicht Themen von HR, sondern der Job einer Führungskraft. Denn diese Führungshandlungen sind der Gradmesser für alle anderen in der Organisation, ob die Führungskraft ihre proklamierten Werte ernst nimmt und auch unangenehme Konflikte eingeht. Besonders herausfordernd sind Trennungen, wenn es sich um Mitarbeiter:innen handelt, die eine Top Performance bringen, aber durch ihr Verhalten immer wieder die gewünschte Kultur verhindern oder manchmal sogar vergiften.

3. Beim »Walking around« – Kontakte auf persönlicher Ebene

Menschen merken schnell, wenn Führungskräfte Authentizität vermissen und sich hinter ihrer Funktion verstecken oder versuchen, ihre Persönlichkeit zu verbergen. Umgekehrt prägen Führungskräfte dann erfolgreich eine Unternehmenskultur, wenn es ihnen gelingt, in persönlichen Gesprächen ihre menschliche Seite zu zeigen und ihrem Umfeld klarzumachen, dass ihre persönlichen Werte und Verhaltensmuster gut mit den Unternehmenswerten zusammenpassen.

Wird in einem Unternehmen »Wertschätzung« als Wert kommuniziert, sind ernst gemeinte Kontakte der Beweis, ob Wertschätzung wirklich gelebt wird – zum Beispiel:

  • »Super, ich finde das großartig…«, wenn jemand sich für etwas besonders engagiert, aber noch kein Ergebnis sichtbar ist,
  • »Wo können wir dich unterstützen?«, wenn man Überforderung spürt,
  • »Ich hätte da gerne deinen Rat…«, wenn man selbst unsicher ist oder
  • »Wie geht es deiner Familie…?«, wenn man zufällig von privaten Herausforderungen hört. Wichtig dabei ist, ernsthaftes Interesse zu zeigen.

4. In relevanten Meetings

In Besprechungen wird Führung sichtbar. Kulturwandel kann dort besonders ansetzen. Wird zum Beispiel eine positive Fehlerkultur proklamiert, ist diese nur glaubwürdig, wenn im nächsten Meeting mit Fehlern lernorientiert umgegangen wird und man offen über Erkenntnisse aus Fehlern spricht. Gerade in Meetings können Abweichungen zwischen gewünschtem Verhalten und gelebter Realität gut angesprochen werden. Üblicherweise sind es zwei Führungsrollen, die einen Dialog zur Unternehmenskultur anstoßen können: Entweder es ist jene, die am meisten formelle oder auch informelle Macht besitzt und damit einen sicheren Raum aufspannt – oder es ist die Führungskraft, die für das Thema eine besondere intrinsische Motivation empfindet und deshalb geschickt Wege findet, förderliche und hinderliche Kulturaspekte zu thematisieren.

5. In Betriebsversammlungen – neudeutsch »Town Halls«

Wie stellt sich eine Führungskraft ihren Mitarbeitenden, wenn attraktive News, heikle Dinge oder notwendige Veränderungen kommuniziert werden müssen? Formal oder überinszeniert, verhalten oder authentisch, marktschreierisch oder dialogisch und offen? Immer wieder wollen Führungskräfte, dass Betriebsversammlungen möglichst reibungslos oder wie im Theater vorhersehbar ablaufen. Man beraubt sich damit aber der Riesenchance, Kultur zu beeinflussen. Town Halls, wo Dialog, Emotionen und Authentizität in einer großen Gruppe spürbar werden, sind manchmal so richtige Magic Moments. Es lohnt sich daran zu arbeiten, wie man auch heikle Fragen offen beantworten kann, wie mit persönlichen Botschaften Menschen begeistert werden oder wie es gelingt, alle spüren zu lassen, wie sehr man persönlich die Kultur lebt.

6. Bei Investitionsentscheidungen und Prioritätensetzungen

An Projektentscheidungen und Budgets lässt es sich festmachen, ob eine kulturelle Entwicklungsabsicht ein Schönwetterprogramm oder ernst gemeint ist. Will man zum Beispiel mehr Kundenorientierung oder Unternehmertum, braucht das auch entsprechend Investment in Geld und Zeit. Ernst gemeinte Kulturtransformationen erkennt man auch daran, ob eine »positive kulturelle Wirkung« ein wichtiges Entscheidungskriterium für anstehende Investments ist.

7. Im Umgang mit Krisen / schwierigen Situationen

Ist kulturelles Leadership wie Segeln bei Schönwetter und Windstärke 4 bis 5? Hält ein proklamierter kultureller Wert auch dann noch, wenn es wirtschaftlich eng wird? Kultureller Wandel braucht einen langen Atem und die Bereitschaft, sich auch von kurzfristigen Querschlägen nicht umwerfen zu lassen. Mitarbeiter:innen beobachten genau, ob das Topmanagement auch noch zu kulturellen Botschaften steht, wenn diese für das erste noch nicht wirtschaftlich messbar sind oder der Druck beim Business-Ergebnis kurzfristig stärker wird. Menschen lassen sich dann auf neue Verhaltensweisen ein, wenn sie ausreichend Rückendeckung von den Mächtigen spüren.

8. Bei der Organisation von Feedback

Sind Sie als Führungskraft auch bereit, offenes Feedback zum eigenen Verhalten einzuholen oder wollen Sie nur bestätigende Geschichten hören? Nur wer als Führungskraft offen dafür ist, das eigene Verhalten auf den Prüfstand zu stellen, wird einen kulturellen Wandel vorantreiben. Es geht darum, genau hinzuhören, welche positive und negative Wirkung man erzeugt und wo auch eine persönliche Weiterentwicklung ansteht. Eine Grundhaltung für jemanden, der Haltungen anderer beeinflussen möchte, ist der Wille zum lebenslangen Lernen.

9. Beim Einlassen in unterschiedliche Welten

Führungskräfte können Kultur besonders dann beeinflussen, wenn sie unterschiedliche Kulturen, deren Rituale, Sprache und Systeme verstehen, akzeptieren und sich darauf einlassen wollen. Arbeiter:innen am Band, Controller:innen oder Sales-Leute sprechen andere Sprachen. Auch Next Generation-Mitarbeiter:innen und alte »Haudegen« ticken anders. Kulturelle Leader haben Freude daran, als neugierige Entdecker:innen, Brückenbauer:innen und Integrator:innen unterschiedlicher Kulturen zu agieren. Wichtig dabei ist, dass Führungskräfte bewusst aus ihrer »Blase« aussteigen, mit Diversität umgehen lernen, neugierig sind und gerne Unbekanntes entdecken wollen.

10. Beim Setzen der eigenen Prioritäten

Kulturarbeit braucht Zeit, und im Speziellen Ihre wertvolle persönliche Zeit als Führungskraft. Kulturelle Impulse, die Sie setzen wollen, müssen sich in Ihren Kalender-Prioritäten wiederfinden. Kulturelles Leadership braucht aber auch Ihre emotionale Priorität und ist nicht in zwei Monaten erledigt. Es hat eine hohe Priorität in Ihrem Leadership-Alltag und das immer: an sonnigen und gewittrigen Tagen.

Was tun/nun?

10 Situationen – nicht immer ganz einfach, diese im Blick zu behalten. Manchmal kann einen das ziemlich fordern oder sogar überfordern. Vor allem dann, wenn man aus einer mittleren Management-Rolle und nicht als CEO oder Eigentümer:in Führung betreibt.

Mein Tipp: Machen Sie einmal ein persönliches Assessment, wo Sie selbst gestalten können und wo Sie in einem vorgegebenen Rahmen agieren müssen – Sie werden sehen, der Rahmen ist oft größer als man beim ersten Hinsehen vermuten würde. Danach konzentrieren Sie sich ganz besonders auf drei »Moments of Truth« und überlegen Sie dabei, was Sie konkret tun können, um einen kulturellen Wert, der Ihnen besonders wichtig ist, voranzubringen.

Und die übrigen 7 von 10? Zu Beginn am besten darauf achten, grobe Schnitzer zu vermeiden und sich ihnen Schritt für Schritt nähern. Ein gutes Gelingen!

 

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