Führen heißt heute mehr denn je „Transformationen zu gestalten“: zum einen die eigene Organisation laufend so zu verändern, dass diese nachhaltig erfolgreich ist. Und zum anderen auf Menschen einzuwirken, damit neue Verhaltensmuster erlernt werden, um den Zukunftsanforderungen gerecht zu werden. Klingt mechanistisch – ist es aber ganz und gar nicht. Denn Organisationen sind keine trivialen Maschinen, die per Knopfdruck steuerbar bzw. programmierbar sind, und Menschen sind keine trainierbaren bzw. instruierbaren Geschöpfe.

Die Frage lautet damit: Wie gelingt es aus einer Führungsrolle heraus organisationalen Change zu bewirken und individuellen Change von Menschen zu fördern? Dazu ist nichts praktischer als eine gute Theorie und einige fundamentale Prinzipien für den Führungsalltag. Damit verfüge ich als Führungskraft über wichtige Grundlagen, um zu verstehen, wie Organisationen und Menschen ticken, wie sie lernen und wodurch sie sich an Umfeldveränderungen anpassen können.

Organisationen sind komplexe soziale Systeme

Organisationen sind dazu da, einen Zweck für ihre Umwelt zu erfüllen, Systemtheoretiker nennen das Primary Task, in der aktuellen Management-Mode heißt das: Organisationen verfolgen einen Purpose. Für jede Organisation (Unternehmen, NPO, Abteilung, Team etc.) geht es dabei um das Erfüllen einer Aufgabe, die von „Kunden“ wertgeschätzt wird und damit auch um das „Sichern des Überlebens“. Entfällt dieser Existenzgrund oder kann die Organisation ihren Zweck nicht rasch genug an neue Umfeldbedingungen anpassen, sterben Organisationen oder vegetieren so lange dahin, bis sie allein nicht mehr lebensfähig sind und übernommen werden. Deshalb ist es so bedeutend den eigenen Purpose zu schärfen und sich des wirklichen Existenzgrundes bewusst zu sein.

Soweit so einfach, aber Organisationen als soziale Systeme haben noch eine Besonderheit, die es ihnen erschwert, sich an notwendige Umfeldentwicklungen anzupassen. Soziale Systeme streben nach Stabilität und Wiederholung von Erfolgsmustern aus der Vergangenheit. Diese Muster geben Sicherheit und ermöglichen ein effizientes Agieren. Sie sind damit den Menschen manchmal gar nicht zugänglich, sondern tief in das Unterbewusstsein (kann man auch als organisationale DNA bezeichnen) eingebrannt.

Da ein soziales System auch keine klar vorhersagbaren Ursache-Wirkungsbeziehungen hat, können Organisationen im Unterschied zu Maschinen auch nicht über noch so ausgeklügelte Managementmechanismen beherrscht bzw. programmiert werden. Neue MbO-Systeme, Systeme zum Qualitätsmanagement, Balance Scorecards, agile Systeme wie LeSS, SaFE oder Scrum versprechen oft Wirkungen, die sie dann in der Praxis nicht halten können, weil Wirkungsmechanismen eines sozialen Systems nicht programmierbar sind. Neue Management-Systeme sind eingeführt, werden exekutiert und dennoch hat sich das Verhalten nicht verändert.

Der zentrale Hebel, wie Organisationen aus ihrer Muster-Stabilität heraus bewegt werden können, sind Irritationen aus der Umwelt, vom Markt und durch Wettbewerb. Diese Irritation von außen bewegen die aus der Vergangenheit kommenden bewährten Erfolgsmuster am stärksten und sind der Treibstoff, um das Überleben zu sichern. Sind die Kanäle zur Wahrnehmung von Umfeldentwicklungen „verstopft“, werden Umweltsignale ganz bewusst nicht wahrgenommen oder fehlen entsprechende „Radarsysteme“, riskiert eine Organisation, dass notwendige laufende Anpassungen in den Verhaltensmustern nicht stattfinden. Die Beispiele, wo Organisationen sich im Erfolg der Vergangenheit zu lange sonnten und dann plötzlich ihre Existenzberechtigung verloren, sind ja allseits bekannt.

Menschliches Verhalten wird über emotionale Reaktionen des Gehirns gesteuert

So sehr es sich viele Führungskräfte wünschen: ein neues Verhalten von Mitarbeitern lässt sich nicht durch eine „Ansage“, eine gute Erklärung, ein Powerpoint-Chart oder ein neues Anreizsystem herstellen.

Wie wir als Menschen auf von uns erwartete Verhaltensanforderungen reagieren ist vielfältig, äußert sich individuell und ist kaum vorhersehbar.

Wesentliche Einflussgrößen auf menschliche Reaktionen sind unter anderem: Erfahrungen mit Veränderungen in der Vergangenheit (positive, kritische), der aktuelle psychische Zustand (Glücksgefühl, Depression, Ärger, …), die Einschätzung des persönlichen Nutzens bzw. Nachteils einer Veränderung, mein ganz persönliches Muster auf Veränderungen zu reagieren oder die Annahme über den Sender einer Veränderungsbotschaft (habe ich Vertrauen, Misstrauen, ist es ein „Freund oder Feind“).

All diese Veränderungsreaktionen sind aufgrund von Biographie und grundlegenden physiologischen Prozessen in unserem Gehirn vorprogrammiert und damit einer Führungskraft als „Gestalter“ einer Verhaltensveränderung nicht direkt zugänglich. Aus der Gehirnforschung lassen sich jedoch einige Grundmuster ableiten, die Führungskräften helfen können, auf Verhalten einzuwirken.

Menschen reagieren auf sozialen Stress (die Anforderung an nicht selbst definierter Verhaltensänderung – ist ein besonderer sozialer Stress) über das limbische System – dem zweitältesten Teil des menschlichen Gehirns, das für unsere Emotionen verantwortlich ist. Sozialer Stress wird abhängig von persönlicher Vorprogrammierung (Erfahrung, Dispositionen) vom limbischen System zumeist als Bedrohung wahrgenommen, ohne dass es zu einer intellektuellen Auseinandersetzung mit den dahinterliegenden Fakten im Großhirn kommen kann. In 1/5 Sekunde entstehen emotionale Reaktionen wie „Kampf“ oder „Flucht“.

Laut dem für Führungskräfte hilfreichen Modell SCARF sind es 5 Dimensionen, die, wenn sie vom Betroffenen einer Veränderung als Bedrohung wahrgenommen werden, zu überzogenen sozialen Stressreaktionen führen: eine Bedrohung des sozialen Status, Unsicherheit über meine Zukunft, Angst vor Einschränkung der Selbstbestimmung, Gefahr des Verlustes sozialer Beziehungen und die Angst, unfair behandelt zu werden.

Eine zweite Quelle für das Verständnis der menschlichen Psyche liefert die Neuroscience aus der Beschäftigung mit den Hormonen Cortisol, Oxytocin, Dopamin, Serotonin und Endorphin.

Sozialer Stress zum Beispiel produziert Cortisol, welches das „Lernen“ neuer Verhaltensmuster verhindert. Im Gegensatz dazu bringen Erfolge bzw. das Gefühl etwas geschafft zu haben, das Gehirn dazu, Dopamin zu produzieren. Habe ich das Gefühl einer sozialen Verbundenheit oder einer Geborgenheit in einer mir wohlgesinnten Gruppe, wird Oxytocin ausgelöst. Dopamin und Oxytocin sind Hormone, die ein Glücksgefühl entstehen lassen und Menschen unterstützen, dass sich Nervenstränge im Gehirn verbinden, wodurch sich neue Verhaltensweisen erlernen und verankern lassen. Jeder kennt aus der eigenen Lebenspraxis genug Situationen, wo über Erfolgsgefühle und positive Teamerlebnisse neue Verhaltensweisen möglich wurden.

Konsequenzen für das Führungsverhalten beim Management von Change

Was fange ich als Führungskraft mit diesen „theoretischen“ Grundlagen an? Am besten nutzen Sie diese Erkenntnisse bei der Ausgestaltung Ihrer Führungshandlungen: beim Wahrnehmen Ihres Umfelds, beim Gestalten von Rahmenbedingungen und Systeme, in der Kommunikation mit Ihren Mitarbeitern oder bei Entscheidungsprozessen.

Und bleiben Sie bescheiden bei der Einschätzung Ihrer Wirkung. Seien Sie sich bewusst, dass bei allem was Sie tun – auch wenn es mit noch so guter Absicht passiert – Sie nie sicher sein können, wie die Resonanz Ihres Umfelds ausfällt bzw. wie einzelne Ihrer Mitarbeiter auf Ihre Handlungen reagieren werden.

Dennoch möchte ich Ihnen jeweils 3 basale Handlungsempfehlungen beim Führen im Umgang mit organisationalen und individuellen Veränderungen geben:

Führungsinterventionen beim organisationalen Change

  1. Organisieren Sie Feedback von Kunden, Stakeholdern und irritierende Impulse aus dem Umfeld. Energien für die Veränderung komplexer sozialer Systeme kommen immer von „außen“. Außenimpulse müssen immer bei jenen, die Macht haben und eine Ausrichtung entscheiden können, eine emotionale Reaktion auslösen. Am besten über eine persönliche Betroffenheit.
  2. Versuchen Sie System-Blockaden zu beseitigen – Change Management ist oft vergleichbar mit dem Handeln eines Chiropraktikers. Das Beseitigen von Blockaden vor allem dort wo für den Zukunftserfolg dysfunktionale Muster hinderlich sind. Dabei handelt es sich zumeist um Strukturen, Regelwerke, personelle Machtkonstellationen oder dominante Systeme. Unterscheiden Sie dabei gut zwischen wertvollen Assets aus der Vergangenheit, die besonders geschützt werden müssen und sinnlosem „Schutt“ an Mustern, den es zu beseitigen gilt.
  3. Schaffen Sie Orientierung durch eine sinnstiftende Ausrichtung, sei es durch einen starken gemeinsamen Purpose (was wollen wir als Organisation oder als Team bewirken?) oder eine Zukunftsvision (wie wollen wir in ein paar Jahren dastehen?), in der Sie die Sehnsüchte von Menschen in Ihrer Organisation abbilden. Nichts künstlich Aufgesetztes, sondern etwas, wo der Keim oder die Grundenergie für eine attraktive Zukunft schon angelegt sind. Denn Menschen wollen spüren, wofür es sich lohnt, sich zu engagieren und Teil einer „großen Idee“ zu sein.

Führungsinterventionen bei individuellem Change

Beim Umgang mit Menschen in Veränderungssituationen, geht es darum, diese in ihrer Individualität wahrzunehmen. Als Führungskraft sollten Sie, ohne dass Sie die Klarheit in Ihrer Kommunikation einschränken, sinnlose soziale Stresssituationen für Mitarbeiter vermeiden. Es geht darum Entwicklungen durch positive Verstärker zu fördern und keinesfalls über Angst zu führen. Dazu ist es hilfreich:

  1. Situationen herbeiführen, wo Menschen im Gehirn Dopamin ausströmen. Das sind Aufgaben wo in überschaubarer Zeit Ergebnisse erzielt werden können und wo über wiederholtes Tun Erfolgsgefühle und Fortschritt entstehen. Diese Fortschritte brauchen als weiteren Lerntreibstoff dann ganz besonders Ihre positive Anerkennung als Führungskraft.
  2. Psychologische Sicherheit für Ihre MitarbeiterInnen schaffen, d.h. Erlebnisse wo im Gehirn Oxytocin fließen kann. Das sind Situationen wo sich Menschen ohne Angst einbringen können und das Gefühl der Gemeinschaft bei allen Beteiligten ein Erlernen neuer Verhaltensmuster fördert.
  3. Bei sozialen Stresssituationen in der Kommunikation mit Mitarbeitern sollten Sie versuchen, emphatisch zu agieren und Bedrohungen zu den 5 SCARF-Aspekten (Status, Certainty, Autonomy, Relatedness und Fairness) wo es geht zu vermeiden. Damit können nicht bearbeitbare emotionale Abwehrreaktionen (Kampf oder Flucht) hintangehalten und damit Lernbarrieren zu verhindert werden.

 

Mein Résumé: Werfen Sie bei Ihrem Handeln als Change Gestalter immer wieder einen Blick auf die 6 Felder und reflektieren Sie dabei immer die Wirkung Ihres eigenen Verhaltens. Denn Change kann nur jemand führen, der selbst bereit ist, sich selbst weiterzuentwickeln.